
Alfred Leclaire hätte früher nie daran gedacht, Bürgermeister zu werden. Dann wurde er es doch, 1970 mit 35 Jahren in Tutzing - und blieb es 26 Jahre. Am Mittwoch ist er 90 Jahre alt geworden. Bei seiner Geburtstagsfeier im Saal des Roncallihauses gratulierten ihm viele Tutzinger herzlich, darunter zahlreiche seiner Weggefährten aus den vergangenen Jahrzehnten. Es war ein schwungvolles Fest mit besonderen Höhepunkten. Dazu gehörten ein ausdrucksstarker balinesischer Tanz und die energiegeladene Darbietung eines Cello-Bass-Duetts von Gioachino Rossini durch den in Weßling lebenden englischen Komponisten Graham Waterhouse und Matthias Weber, der am 1. Juli dieses Jahres neuer Präsident des von Leclaire gegründeten Tutzinger Rotary-Clubs wird.
Die Musik ist für Leclaire eine Passion. Sie hätte für ihn auch ein erfolgreicher Beruf hätte werden können. Vier hochwertige Tasteninstrumente stehen in seiner Wohnung: Cembalo, Spinett, Clavichord und Klavier. Ein Tag ohne intensives Spiel ist für ihn undenkbar, regelmäßige Kammermusik mit seiner Frau Irmi, die Cellistin ist, und Freunden sind sein Lebenselixier. So leidenschaftliche Aktivität voller Begeisterung muss wohl zu Fitness und Wohlbehagen beitragen, denkt man sich unwillkürlich, wenn man, wie nun bei der Geburtstagsfeier, Alfred Leclaire und seine Frau trifft, wenn sie voller Elan und detaillierter Erinnerungen aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz berichten, wenn sie Anekdoten nicht nur aus Tutzing zum Besten geben und von ihrer Familie, ihren zwei Söhnen und fünf Enkeln schwärmen.

Grundbeschaffungen als wichtige Aufgabe

Es waren bewegte Zeiten in Tutzing, bevor Leclaire erstmals Bürgermeister wurde. Sein Vorgänger Peter Dreer hatte das Amt, das er seit 1958 bekleidet hatte, zuvor nach Anschuldigungen unfreiwillig aufgeben müssen. Die Gerichte gaben Dreer nach langjährigen Verhandlungen recht, aber eine Rückkehr an die Rathausspitze, von der er später einmal sprach, gab es für ihn nicht. Eine neue Zeit war angebrochen.
Leclaire war nach Jurastudium und Promotion in Politologie eigentlich auf einem anderen Weg gewesen, auch aufgrund seiner Freundschaft zum CDU-Politiker Bernhard Vogel. Doch ausgerechnet der war es, der Leclaire von einer offenen Stelle in der Tutzinger Akademie für politische Bildung erzählte. Er bewarb sich erfolgreich und wurde 1965 Dozent. Doch schnell kam er auch mit dem lokalen Geschehen in Kontakt. In der CSU gab es damals Differenzen. Da kam ein Neuer, der nichts mit den kommunalen Problemen zu tun hatte, gerade recht. 1969 wurde Leclaire zum Ortsvorsitzenden gewählt, und nachdem Dreer aufgehört hatte, war Leclaire bei der Bürgermeisterwahl von 1970 unter fünf Kandidaten der Sieger. Ein Rheinländer in dieser Funktion - darüber gab es viele Diskussionen, an die er sich selbst schmunzelnd erinnert. Heute wirkt es fast so, als sei der Bevölkerung damals nach schwierigen Zeiten einer lieber gewesen, bei dem man eine gewisse Distanz vermuten konnte.
In der Tutzinger Kommunalpolitik hat Leclaire seine Schwerpunkte gesetzt. Als eines seiner wichtigsten Themen betrachtete er Grundbeschaffungen. In dieser Hinsicht war Karl Bleicher, einer seiner Vorgänger von 1945 bis 1958, sein Vorbild. Unter anderem erwarb die Gemeinde in Leclaires Amtszeit die Kustermannvilla, das Areal mit Obstgarten beim Tutzinger Keller, Teile des Sportplatzgeländes und erhebliche Flächen beim Karpfenwinkel. In dieser Phase wurde die früher selbstständige Gemeinde Traubing im Zuge der Gebietsreform nach Tutzing eingemeindet, die Einheimischenmodelle am Schorn und am Riedwinkel entstanden, und das Traubinger Wohnmodell am Kirchlehel wurde durch Grundstückskäufe ermöglicht.
Freundschaftliche internationale Beziehungen

Ganz besonders viel lag Leclaire an freundschaftlichen internationalen Beziehungen, die er mit den Tutzinger Partnern Bagnères-de-Bigorre in Südfrankreich und Balatonkenese in Ungarn immer wieder unterstrich. Noch lange nach seiner Bürgermeisterzeit, 2018 bei der Tutzinger Lichterkette, warnte er vor einer „ängstlichen Abschottung hinter nationalen Grenzen“: „Unserem Denken ist auch die Abgrenzung gegenüber Menschen fremd, die aus anderen Ländern zu uns kommen und in unserem Lande leben und sich als Mitbürger in Würde entwickeln wollen.“
Wichtig war dem Musikkenner auch immer die Förderung von Kultur und Bildung. Er hat etliche Initiativen mitgegründet, so den Pfarrgemeinderat, die Tutzinger Gilde, die Tutzinger Musikfreunde und den Verein zur Förderung der Kirchenmusik. Auch die historische Tutzinger Fischerhochzeit hat er mit neu belebt. Im Tutzinger Rathaus hat er etliche Spuren hinterlassen, so in personeller Hinsicht: Er hat Peter Lederer zum damals jüngsten Geschäftsleiter einer Gemeinde in Oberbayern gemacht, ihn stets gefördert und zu seinem Nachfolger aufgebaut. Auch die Erweiterung des Rathauses in den 1970er Jahren fiel in Leclaires Amtszeit. Ein über eine ganze Wand reichendes Stoffbild mit Tutzinger Motiven im Sitzungssaal hat eine Künstlerin in seinem Auftrag angefertigt.

Der Streit ums Midgardhaus führte zur ersten Tutzinger Bürgerinitiative

In der langen Bürgermeisterzeit von Leclaire gab es auch manche Differenzen, selbst mit Teilen seiner Partei, der CSU. Als eine besonders heiße Phase ist sein Plan in Erinnerung, das Midgardhaus abzureißen und an seiner Stelle ein Hotel des Steigenberger-Konzerns zu errichten. Dagegen kämpfte in den 1970er Jahren erfolgreich die wohl erste Tutzinger Bürgerinitiative, in der sich auch manche CSU-Mitglieder engagierten. Auch CSU-Gemeinderat Hubert Hupfauf, der bereits Bürgermeisterkandidat war, weil Leclaire aufhören wollte, schlug sich auf die Seite der Hotelgegner.
Die Protestbewegung war erfolgreich, der Hotelplan wurde abgeschmettert - aber Hupfauf musste die Kandidatur aufgeben. Für eine Periode saß Hupfauf für den damaligen Parteilosen Wählerblock, den Vorgänger der Freien Wähler, im Gemeinderat statt für die CSU – und Leclaire blieb Bürgermeister. Später zeigte er, dass man nicht immer auf seinen Meinungen beharren muss. Zum Streit ums Midgardhaus sagte er einmal: „Ich wäre heute bei meinen eigenen Gegnern.“
Für den Rheinländer Alfred Leclaire ist Tutzing längst zur Heimat geworden. Auch nach seiner Bürgermeisterzeit hat er sich in diesem Ort für Aufgaben engagiert, die ihm bedeutsam erscheinen, so als Gründer des Tutzinger Rotary-Clubs oder als Mitgesellschafter beim Aufbau eines Hospizhauses im Beringerpark - ein Projekt, das sich nicht realisieren ließ. Weil es angeblich keinen Bedarf für zusätzliche Hospizbetten gab, hat die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände einen Versorgungsvertrag für das Tutzinger Haus abgelehnt, das deshalb seit Jahren anderweitig genutzt wird.
Kurz vor seinem 80. Geburtstag wurde Alfred Leclaire die Tutzinger Ehrenbürgerwürde zuerkannt - und zwar im Midgardhaus, das längst nicht mehr stehen würde, wenn seine Hotelpläne an diesem Standort realisiert worden wären. Bei der Auszeichnung zeigte er sich froh, dass nichts daraus geworden ist. Heute ist das Midgardhaus für ihn geradezu ein Symbol für die Nähe von Niederlagen und Erfolgen.
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