Gemeindeleben
28.1.2025
Von vorOrt.news

„Sie sind für uns große Vorbilder“

Bei der Lichterkette dankt eine ukrainische Familie den Tutzingern herzlich für ihre Unterstützung

Zunächst hat sich die Familie auf ein paar Monate eingestellt, als sie aus der Ukraine nach Tutzing kam. Dann sei es ein Jahr geworden, berichtete die Mutter bei der Lichterkette am Montagabend - dann zwei Jahre, nun seien es bereits fast drei Jahre. Sie hätten anfangs Angst gehabt, allein zu sein, doch in Tutzing hätten sie viel Unterstützung bekommen. Ihre Kinder könnten wieder Kinder sein, sie könnten zur Schule gehen und ein normales Leben führen. „Das ist das große Geschenk, das Sie uns gemacht haben“, rief sie den Tutzingern zu. „Ihre Freundlichkeit und Geduld macht es für uns jeden Tag ein Stück leichter“, fügte sie hinzu: „Sie sind für uns große Vorbilder.“

Für Beate Frankenberger, die Pfarrerin der evangelischen Kirche, ist die Tutzinger Lichterkette "wie ein Leuchtsignal in dieser doch recht düster erscheinenden Welt“. Zum zehnten Mal fand die Veranstaltung gestern statt – wie immer als gemeinschaftliche Aktion der Kirchen, der in Tutzing ansässigen Akademien, aller hiesigen Schulen, der Gemeinde Tutzing, der Missions-Benediktinerinnen und des Ökumenischen Unterstützerkreises. Bürgermeister Ludwig Horn dankte allen Mitwirkenden herzlich für dieses Zeichen der Gemeinsamkeit, „dass man die Hoffnung nicht aufgibt, sondern Hoffnung schöpft“ - und auch ganz besonders für die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

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Wie ein Leuchtsignal: Zahlreiche Menschen kamen gestern bei der Tutzinger Lichterkette vor dem Rathaus zusammen. Nicht alle, aber viele blieben auch noch, als Regen einsetzte.
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Eng beieinander standen alle gestern vor dem Rathauseingang, als musikalische Einlagen wie hier von den "Blue Notes" erklangen

Prof. Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung, erinnerte an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, des größten Vernichtungslagers des NS-Staates, vor genau 80 Jahren, am 27. Januar 1945, durch die sowjetische Armee. Eindringlich forderte sie zum Einsatz für die Demokratie auf, denn dass so etwas wie damals im 21. Jahrhundert mitten in Europa wieder passieren könne, sei nicht ausgeschlossen. Ähnlich äußerte sich Udo Hahn, der Direktor der Evangelischen Akademie. „Wo Hass und Hetze sich ausbreiten, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und Nationalismus, da ist der Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährdet, die liberale Demokratie in ihrer Existenz bedroht“, mahnte er. (Links zu den kompletten Reden von Ursula Münch und Udo Hahn stehen unten auf dieser Seite.)

Den Namen trägt sie nach wie vor, doch eine Lichterkette wie in der Anfangsszeit ist es schon seit ein paar Jahren nicht mehr. In den ersten Jahren hatten hunderte Menschen tatsächlich eine – wenn auch nicht immer komplette – Lichterkette gebildet, vom Rathaus über das Kino, die evangelische Kirche, die Hörmannstraße und die Kustermannstraße bis zurück zum Rathaus. Später stellten sich die Menschen auf der Lindlwiese zu einem Lichterkreis auf. Heute nimmt die Veranstaltung die Form einer Kundgebung vor dem Rathaus-Eingang an. Lichter in den Händen der meisten Menschen, in einigen Fällen sogar als Lichter-Umhang, spielen aber nach wie vor eine wichtige Rolle, ebenso wie nachdenkliche Reden, aufrüttelnde Mahnungen und musikalische Einlagen.

Alle Tutzinger Schulen steuerten Beiträge bei - von der Grundschule über die Realschule und das Gymnasium bis zur Privatschule „Create Schools“. Musikalisch spannte sich der Bogen ganz international von John Lennons und Yoko Onos „Happy Xmas (War Is Over)“ bis zum hebräischen „Shalom chaverim“ (Friede sei mit euch). „Be a light“ forderte der Tutzinger Chor Blue Notes alle auf. Und zum Schluss hallte, wie am Ende jeder Lichterkette, das von allen gemeinsam gesungene „We shall overcome“ durch die Straßen von Tutzing: Wir werden es überwinden.

Rede von Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung, bei der Tutzinger Lichterkette:
Innerhalb kurzer Zeit könnte ein autoritäres System entstehen

Rede von Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie, bei der Tutzinger Lichterkette:
Wir sehen, wohin der Weg führen kann

ID: 7483
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Kommentare

Liebe Frau Krug,

Ihre Schilderung der Lichterkette bestätigt ungewollt meine Kritik: Während Sie die äußere Form und Symbolik der Veranstaltung würdigen, bleibt die zentrale Frage unbeantwortet, wie wir die Kluft zwischen symbolischer Geste und gelebter demokratischer Praxis überwinden können.

Was hat es denn geholfen, all die Symbolpolitik und das gegenseitige Schulterklopfen derer in Amt und Würden? Trotz der drängenden Polykrise mit zahlreichen relevanten Fragestellungen ist es den Rechtsradikalen gelungen, bundesweit das völlig verhetzte Migrationsthema auf Platz 1 der politischen Agenda zu setzen.

Tutzing selbst zeigt exemplarisch, wie sehr schöne Gesten und reale Politik auseinanderklaffen: Wo es um Verteilungsfragen geht, wird knallharte Interessenpolitik betrieben. Die Einrichtung eines Seniorenbeirats kurz nach Gründung des Jugendbeirats zementiert alte Machtverhältnisse – obwohl der Gemeinderat von seiner Altersstruktur her bereits einem Seniorenbeirat gleichkommt.

So wartet der Ort bis heute vergeblich auf eine kindgerechte Infrastruktur, die Mindeststandards entspricht. Stattdessen verschiebt eine generationenvergessene Kommunalpolitik die Kosten unseres grenzenlosen Lebensstils auf die Nachfolgenden.

Erst wenn wir diese unbequemen Wahrheiten anerkennen und echte Veränderungen anstoßen, werden aus symbolischen Gesten tragfähige Zukunftskonzepte. Ansonsten beruhigen sich damit nur diejenigen, bei denen die Angst vor dem allgemeinen moralischen Absturz überhandnimmt.
Beeindruckend war gestern die bereits 11. Tutzinger Lichterkette „Miteinander für Frieden, Freiheit und Toleranz“. Die Grundschulkinder mit ihrem besonderen Lied „Frieden“ und die zum Nachdenken anregenden Wortbeiträge der Realschülerinnen und Realschüler Tutzings, sowie die eindrucksvolle Schilderung einer ukrainischen Mutter über die Hilfsbereitschaft in Tutzing, ließen die Menschen trotz einsetzenden Regens vor dem Rathaus verweilen.
Bereits 2015 hatten sich weit mehr als 400 Tutzinger Bürgerinnen und Bürger erstmals zu einer Lichterkette zusammengefunden, um ein Zeichen für Weltoffenheit, Toleranz, Solidarität und Menschlichkeit zu setzen. Auch 2016 und 2017 Tutzing demonstrierten die Bürger, dass friedliches Zusammenleben nur gelingt, wenn wir es als gemeinsame Aufgabe begreifen. Diese Aufgabe hat auch 2025 nichts an Aktualität und Dringlichkeit verloren, es gibt viele vordringlich zu lösende Aufgaben, damit Integration und Zusammenleben möglich sind.
Ich möchte auch gerne an Pfarrer Peter Brummer, Pfarrerin Ulrike Wilhelm und unseren verstorbenen Bürgermeister Rudolf Krug erinnern, die 2015 gemeinsam mit den ansässigen Akademien die 1. Lichterkette ins Leben gerufen haben. Damals war es ein Lichtermeer, die Menschen fassten sich an den Händen und bildeten eine geschlossene Lichterkette vom Rathaus und von einer Kirche zur anderen, konfessionsübergreifend, stimmungsvoll.
Ein herzlicher Dank an alle Beteiligten.
Caroline Krug
Die Lichterkette ist zweifellos ein wichtiges Symbol, doch sie offenbart eine tiefgreifende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit unserer Institutionen. Während dem demokratischen Dialog das Wort geredet wird, vermissen wir ihn im Alltag schmerzlich:

Das bayerische Schulsystem kultiviert nach wie vor autoritäre Strukturen statt einer von Wertschätzung getragenen Kommunikationskultur. Die christlichen Kirchen haben durch ihren herzlosen Umgang mit Missbrauchsopfern jede moralische Glaubwürdigkeit verspielt, was der anhaltende Exodus ihrer Mitglieder eindrücklich belegt. Und während man Kindern bei solchen Veranstaltungen gerne Lichter in die Hand drückt, spielen ihre existenziellen Bedürfnisse in den realen Lebensumständen kaum eine Rolle – sei es bei der Finanzierung von Freizeitangeboten oder beim überfälligen ökologischen Umbau unserer Gemeinschaft.

Wir sind zu einer Gesellschaft geworden, in der die demographische Mehrheit der Älteren eine zukunftsvergessene Politik zementiert. Dass mindestens jeder fünfte Wähler die Gefahr durch rechtsradikale Kräfte für weniger bedrohlich hält als die notwendigen Konsequenzen aus der Klimakrise, gehört zu den erschütterndsten Erkenntnissen der Moderne. Diese Realität macht deutlich, wie weit der Weg von symbolischen Gesten zu echtem demokratischen und zukunftsorientierten Handeln noch ist.
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