Gemeindeleben
9.10.2021
Von vorOrt.news

"Die Ruhe tut allen Kindern gut"

Tutzinger Hort im Wald eröffnet - Viele weitere Pläne fürs Beringer-Areal - Förderung durch "Aktion Mensch"

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Direkt am Wald und neben einer großen Wiese befindet sich der jüngste Tutzinger Hort

Fröhliche Kinderstimmen schallen über die Wiese. Mädchen und Buben rennen herum. Einige spielen Fußball, andere schauen sich gerade im nahen Wald um. „Die Ruhe, die wunderbare Atmosphäre, das Runterkommen - das alles tut den Kindern gut“, sagt Melanie Binder. Ihr Sohn Beni (10) und ihre Tochter Lena (7) besuchen seit ein paar Wochen den neuen „Hort im Wald“ hoch über den Bahngleisen in Tutzing. 17 Plätze bietet der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) im Park neben dem Beringerheim an. Es hätte auch gut die doppelte Zahl sein können, so groß war das Interesse. Melanie Binder freut sich, dass sie mit ihren Kindern zum Zuge gekommen ist. „Als ich davon gelesen habe, habe ich mich sofort gemeldet“, erinnert sie sich. Sie gehörte zu den ersten.

Am Freitag ist der neue Hort im Wald offiziell eröffnet worden. Die Kinder standen im Mittelpunkt, Eltern und Großeltern waren dabei, führende Vertreter der Gemeinde Tutzing, Erzieherinnen und Verantwortliche des Regionalverbands München/Oberbayern im Arbeiter-Samariter-Bund.

Viel Interesse fand ein eigens angeschaffter Bauwagen, in dem sich die Kinder allerdings seltener aufhalten als draußen. Innen wirkt er recht gemütlich und geräumig, und die Kinder bewegten sich dort, als wären sie daheim. „Sie haben sich sofort wie zu Hause gefühlt“, sagte auch Verbandsgeschäftsführer Christian Boenisch. Tutzings Bürgermeisterin Marlene Greinwald stand neben ihm und war sichtlich begeistert. „Ich freue mich unendlich“, sagte sie. Solche naturnahen Angebote seien gerade in dieser „digitalen Welt“ ein guter Ausgleich für die Kinder. Passend dazu hatte sie den Kindern Fairtrade-Fußbälle mitgebracht - schließlich ist Tutzing mittlerweile eine "Fairtrade-Kommune".

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Die Kinder im Mittelpunkt und hinter ihnen (von links) Geschäftsführer Christian Boenisch, Bürgermeisterin Marlene Greinwald mit einem der Fairtrade-Bälle, Jacqueline Gros und Monika Mayer vom Arbeiter-Samariter-Bund, Erzieherin Katharina Hasenöhrl und Hortleiterin Linde Seehawer. Rechts der Bauwagen.
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Freiheit, Natur- und Wildnispädagogik

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Wie ein Kinderzimmer: Der Bauwagen wirkt innen recht gemütlich und geräumig

Für Fachkunde ist dabei mit einem engagierten Team unter Leitung von Linde Seehawer gesorgt. Eine der Erzieherinnen, Katharina Hasenöhrl, ist zum Beispiel Natur- und Wildnispädagogin. Dem Geschäftsführer Christian Boenisch liegt das Thema Freiheit am Herzen. „Die kleinen Menschen sollen groß und stark werden und später selbstbewusst Verantwortung übernehmen und die Welt verändern“, sagt er. Das werde besser gelingen, wenn sie - begleitet von großen Menschen - Tag für Tag in so einer Umgebung, in der Natur verbrächten. „Das soll ihnen Spaß machen“, wünscht er sich, „und sie sollen später sagen: Das hat Spaß gemacht.“

Mit dabei war bei der Eröffnungsfeier auch Heinz Langhammer. Er war lange Vorstandsmitglied des Bayerischen Verkehrs-Beamtenvereins. Dem Verein hatte der frühere Eigentümer Johann Georg Beringer (1829-1919) das große Grundstück einst mit der Auflage vermacht, dort ein Erholungsheim für die Mitglieder einzurichten. Später war in der großen Villa über längere Zeit der Bundesnachrichtendienst (BND) Mieter. Der Beamtenverein ist mittlerweile wegen Überalterung seiner Mitglieder aufgelöst worden, der BND lange ausgezogen. Als der Verein das sechs Hektar große Anwesen dem Arbeiter-Samariter-Bund vor Jahren für gemeinnützige Zwecke überließ, hat Langhammer dabei eine wesentliche Rolle gespielt.

Nicht zum Marktpreis verkauft

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"Für beide Seiten gut gelaufen": Heinz Langhammer hat den Weg für das Projekt mit geebnet

„Die Vereinsmitglieder sind alle älter geworden“, erzählte er, „da hat man nach würdigen Nachfolgern Ausschau halten müssen.“ Das imposante Areal und die prächtige dreigeschossige, 1912 hoch oben am Hang errichtete Villa mit Walmdächern, Erkertürmen und Stehgauben hatte natürlich auch für etliche andere Interessenten sehr attraktiv gewirkt. Manch einer hätte es sicher gern zu seiner persönlichen Residenz gemacht.

Boenisch wirkte am Rande im Gespräch mit vorOrt.news sehr erfreut darüber, dass sich Langhammer damals dafür eingesetzt hat, das Gebäude mit seinem Park der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. An einem Preispoker konnte sich der Arbeiter-Samariter-Bund nicht beteiligen. Das war aber auch gar nicht erforderlich: Das große Grundstück mit dem Beringerheim sei an den Bund „nicht zum Marktpreis“ verkauft worden, so formulierte es Boenisch.

Seitdem arbeitet die aus der Arbeitnehmerbewegung entstandene Hilfs- und Wohlfahrtsorganisation an großen Plänen auf ihrem Tutzinger Schmuckstück. Die großen Aufgaben, denen sie sich verschrieben hat, sind nur mit guter Vernetzung und Kenntnis der Möglichkeiten zu bewältigen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei Zuschüsse und Förderungen. Aus „25 verschiedenen Töpfen“ werden sie voraussichtlich stammen, sagt Boenisch. Der Arbeiter-Samariter-Bund baut nach Angaben von Boenisch auf viele Partnerschaften und Unterstützer. Zu ihnen gehört zum Beispiel die „Aktion Mensch“, die finanzielle Förderungen beisteuert.

In diesem komplexen Bereich hält Projektleiterin Monika Mayer die Fäden zusammen. „Es ist schön, dass das Beringerheim so wieder seiner ursprünglichen Bedeutung zugeführt wird“, sagte sie am Freitag. Bahn- und Post-Beamte sollten nach den damaligen Ideen auch mal Urlaub machen können, den sie sich sonst nie hätten leisten können, sagte Boenisch, und er fügte hinzu: „Vielleicht kann man so etwas wieder machen.“ Langhammer war sichtlich zufrieden: „Ich glaube, es ist für beide Seiten gut gelaufen.“

Berufsfortbildung, Gastronomie, Inklusionsfirma nach Sozialgesetzbuch IX

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"Ich freue mich unendlich", sagte Bürgermeisterin Greinwald, als sie den Hort im Wald zusammen mit Verbandsgeschäftsführer Christian Boenisch eröffnete. Boenisch hat schon viele weitere Pläne auf dem großen Tutzinger Areal, wie er am Rande erläuterte.

Der Hort im Wald ist nun der erste Schritt auf einem langen Weg. Die nächste große Etappe soll eine Umwandlung des Beringerheims in ein Seminarhaus mit 32 Gästezimmern werden.

Dort will der Arbeiter-Samariter-Bund Fort- und Weiterbildungen für die Sozialwirtschaft anbieten - für „Berufe der Daseinsvorsorge“, von Alten- und Krankenpflegern über Erzieher bis zu Rettungssanitätern. Eine Gastronomie soll dieses Angebot ergänzen. Eine „Inklusionsfirma“ soll gegründet werden, denn in die Belegschaft sollen Menschen mit Behinderungen fest eingebunden werden. Die gesetzliche Grundlage dafür liefert das Sozialgesetzbuch IX im Paragrafen 215.

Mit etlichen Einrichtungen in der Umgebung, die solche Personen betreuen, steht der ASB laut Boenisch bereits in Kontakt. Erste Ansprechpartner seien die 850 Mitglieder des Paritätischen Wohlfahrtsverbands allein in Oberbayern. Intensive Gespräche gibt es bereits über eine Zusammenarbeit mit der Montessori-Schule Biberkor in Berg am Ostufer des Starnberger Sees. Sie hat nach Boenischs Worten selbst großen Fortbildungsbedarf. Für Christoph Borchardt, den Geschäftsführer der Montessori-Schule, ist das Beringerheim mit seiner prächtigen Lage, der guten Verkehrsanbindung und Blick auf die Berge ein "Sahnestück", wie er im Gespräch mit vorOrt.news schon vor einiger Zeit sagte.

Tagespflege und multifunktioneller Ausbildungsraum

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Die 1912 hoch oben am Hang errichtete prächtige Villa im Beringerpark steht vor einer neuen Nutzung. Im Wald links steht der neue Hort am Anfang eines umfangreichen Programms. © Fotos: L.G.

Vielleicht soll eines Tages ein Neubau weiter unten auf dem Areal hinzukommen. Als denkbar gilt eine Tagespflege für etwa 24 Personen. Auch eine Nutzung der Remise oben neben dem Hauptgebäude ist vorgesehen, eventuell für einen multifunktionalen Ausbildungsraum. Das ist allerdings mit erheblichem, offenbar vor allem bürokratischem Aufwand verbunden, wie sich herausgestellt hat. Viele Vorbereitungen sind nach Boenischs Worten schon getroffen worden: Untersuchungen durch Gutachter, Besprechungen mit den Denkmalschützern, mit der Gemeinde und dem Landratsamt, Bauleitplanung, Änderung des Flächennutzungsplans.

Auch Claudia und Holger Heinz, Oma und Opa von Beni und Lena, fühlen sich schon recht wohl in dieser Umgebung. „Als wir die Kinder mal abgeholt haben, war es hier richtig lauschig“, erzählte Claudia am Freitag, „und wir wurden gleich aufgefordert: Setzen Sie sich doch dazu.“ Alles sei so zwanglos, sagte sie. Holger beobachtete erfreut, wie die Kinder auf einer großen Wiese neben dem Bauwagen Fußball spielten. „Hoffentlich bleibt ihnen diese Möglichkeit erhalten“, bemerkte er. Der Bund Naturschutz habe nämlich wegen des Abmähens der Wiese schon Bedenken angemeldet.

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