Gemeindeleben
21.10.2019
Von vorOrt.news

Pfarrkirche St. Joseph vor 90 Jahren eingeweiht

Eine Menge Erinnerungen beim Festakt und beim Besuch aus Bagnères-de-Bigorre

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Der feierliche Festgottesdienst heute in der Pfarrkirche St. Joseph

Schick im Dirndl und schwer beladen mit einer Tuba ging eine Dame vom Josefranz-Drummer-Weg zum Brunnenhof des Roncallihauses, während nebenan in der Pfarrkirche St. Joseph gerade der Festgottesdienst stattfand.

Es war sinnbildlich: Feiern, Arbeit, Freude, Begeisterung, hilfreiche Unterstützung, Partnerschaft - es hängt alles irgendwie zusammen, und an diesem Wochenende wurde es in Tutzing auf besondere Weise deutlich. In der voll besetzten Kirche feierten Tutzinger und Besucher aus ihrer südfranzösischen Partnergemeinde Bagnères-de-Bigorre, die zurzeit am Starnberger See zu Gast sind, heute Vormittag gemeinsam das Jubiläum aus Anlass der Einweihung von St. Joseph vor 90 Jahren. Anschließend fand draußen im überfüllten Brunnenhof ein Empfang statt, der zu einem Treffen mit vielen sehr persönlichen Elementen wurde. Viele der Tutzinger und ihrer Gäste kennen sich schon lange von gegenseitigen Besuchen. Auf europäische Trennungsideen, wie sie England beherrschen, würde von diesen Partnern wohl niemand kommen.

Bürgermeisterin Marlene Greinwald und der katholische Pfarrer Peter Brummer begrüßten die Gäste aus Frankreich herzlich. Die neue Vorsitzende des Partnerschaftsvereins aus Begnères-de-Bigorre, Jacqueline Legée, zeigte sich begeistert über den freundlichen Empfang bei den Tutzingern. In dritter Generation ist ihre Familie schon dabei, wie sie im Gespräch mit vorOrt.news am Rande erzählte.

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Deutsch-französisches Treffen I: Der Brunnenhof des Roncallihauses war beim Empfang überfüllt
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Franzosen wollen Schüleraustausch mit Tutzing neu beleben

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Jacqueline Legée und ihre Tutzinger Gastgeberin Annegret Schorn

Schon oft war Jacqueline Legée selbst in Tutzing, die früheren Bürgermeister Dr. Alfred Leclaire, Peter Lederer und Rudolf Krug kennt sie alle. "Mit Alfred Leclaire habe ich viel getanzt", erinnerte sie sich fröhlich. Und sie kündigte an, dass auch der Schüleraustausch zwischen beiden Gemeinden wieder belebt werden soll. Eine Lehrerin in Bagnères-de-Bigorre, Dominique Pujol, zeige sich sehr interessiert daran, dies in die Hand zu nehmen.

Jacqueline Legée, selbst Lehrerin, spricht hervorragend deutsch. Aber ein Sketch, der während des Empfangs aufgeführt wurde, stellte wohl doch einige Anforderungen selbst an sprachgewandte Franzosen. Da mimten neben der katholischen Kirche Tutzings evangelische Pfarrerin Beate Frankenberger und Hubert Lautenbacher aus Bernried dialektgefärbt ein älteres bayerisches Ehepaar, das nach dem Motto "zwei Kirchtürme und ein Glaube" witzig über die Ökumene plauderte.

Die Gäste aus Bagnères-de-Bigorre "revanchierten" sich dann kurz darauf sozusagen auf musikalische Weise. Sie hatten ihren "Akkordeonclub Bagnerais" mitgebracht, und der entführte die Tutzinger im Roncallisaal gekonnt in französische Klangwelten. Vorher bewies das Tutzinger Akorrdeonorchster "Diskanteo" ebenfalls ansehnliches Können, mit mitreißenden Stücken von einem Sinatra-Medley bis zu Hubert von Goiserns "Brenna tuats guat". Bevor die französischen Musiker ihre bayerischen Kollegen ablösten, taten sich beide Gruppen für ein Stück zusammen. Das war wirklich Partnerschaft pur.

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Höchst amüsant: Pfarrerin Beate Frankenberger und Hubert Lautenbacher
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Deutsch-französisches Treffen II: Im Roncallihaus spielten zwei Akkordeonorchester aus Bagnères-de-Bigorre (oben auf der Bühne) und Tutzing (unten) miteinander
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Beste Stimmung im Brunnenhof . 2.v..l. Pfarrer Brummer, re. neben ihm Bürgermeisterin Greinwald, Jacqueline Legée, Waltraud Brod, Alfons Mühleck, Rudi Strunz, Helene Wolfert und Helene von Rechenberg

Was machst du mit dem Knie, lieber Hans?

Die feierliche Veranstaltung heute bildete den zweiten Teil der Jubiläumsfeiern für die Kirche St. Joseph, die vor einer Woche mit einem ausgesprochen unterhaltsamen und ideenreichen Festabend begonnen haben. Es war 1929, als die Kirche eingeweiht wurde, und aus diesem Grund schwelgten alle in Erinnerungen an die 1920er Jahre. Der Abend wurde zu einer gelungenen Show, organisiert von hoch engagierten Mitgliedern und Mitarbeitern der Pfarrgemeinde, allen voran Waltraud Brod, der Vorsitzenden des Pfarrgemeinderats, und Rita Niedermaier, ihrer Stellvertreterin.

Die Gesangspädagogin Florentine van Scherpenberg interpretierte hinreißend „Benjamin, ich hab nichts anzuziehn“ und „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans“. Irgendwann sang das gesamte Publikum mit wahrer Leidenschaft Schlager aus jener Zeit: Waltraud Brod steuerte mit dem von ihr geleiteten Chor „Blue Notes“ gekonnt ein musikalisches Medley bei: „Ein Freund, ein guter Freund“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“.

In schwierigster Zeit nach dem Ersten Weltkrieg - alles war weg

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Engagierte Tutzinger beim Festabend: (v.li.) Pfarrer Peter Brummer, Waltraud Brod, Uwe Bieber, Rita Niedermaier, Alfons Mühleck und Klaus Feldhütter

Eine der vielen weiteren netten Einfälle: Die Besucher waren ermuntert worden, in passender Kleidung von damals zu kommen - und viele von ihnen waren dieser Bitte gefolgt. Pfarrer Brummer ging - eine Woche bevor seine evangelische Kollegin im Brunnenhof ihre Schauspielkunst demonstrierte - mit gutem Beispiel voran: Er hatte einen Melonenhut auf wie einst Charlie Chaplin und auch einen passenden Anzug an. Sogar die Schwestern des Tutzinger Klosters hatten alte Tracht angelegt „wie die Schwestern in den 20-er und 30-er Jahren,“ erzählte eine von ihnen. In den Kleidungsstücken, die da zu sehen waren und auch in musikalischen Beiträgen, die den ganzen Abend durchzogen, spiegelte sich die Ausgelassenheit und die Feierstimmung der „goldenen“ 1920er Jahre wider, die zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise ein wenig wie ein Tanz auf dem Vulkan erscheint, die den Menschen damals aber zweifellos zu viel neuem Lebensmut verholfen hat.

Rund um die Kirche war bei ihrer Einweihung noch viel freier Raum

Das zeigte sich auch an der nach dem Ersten Weltkrieg neu erwachten Entschlossenheit zum Neubau der Kirche St. Joseph. „In schwierigster Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – alles war weg“, sagte Pfarrer Peter Brummer, der sich „mit großem Respekt“ vor den Leistungen der Tutzinger damals verneigte. Ohne die Kraft der Gemeinschaft und des Zusammenhalts und ohne das Zeugnis des Glaubens wäre dies nach seiner Überzeugung undenkbar gewesen. „Das Rathaus war schon da, auch der Bauernhof Lindl und die Schule, aber sonst war rundherum freier Raum“, fügte er hinzu. Auf alten Bildern ist das alles gut zu erkennen.

Berichte und Fotos, die auf Plakatwänden zusammengestellt auch heute bei den Feiern im Brunnenhof zu sehen sind, erzählen von der geradezu aufopferungsvollen Bereitschaft vieler Bürger damals, mitzuhelfen, oft genug auch mit der Folge hoher persönlicher Risiken. Wolfgang Bodemann beispielsweise, ein bekannter Kunstschlosser in Tutzing, hat für die Pfarrkirche St. Joseph nicht nur das auffallende Kommuniongitter und weitere wertvolle Stücke angefertigt. Er war auch Mitglied der Kirchenverwaltung und hat sich stark für den Neubau der Kirche engagiert, die vor 90 Jahren eingeweiht wurde. Wie viele andere hat er auch persönlich in finanzieller Hinsicht Verantwortung übernommen.

Das für den Bau gesparte Geld wurde für Kriegsanleihen verwendet

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Unter den Gesprächspartnern auf der Bühne waren etliche Zeitzeugen

Denn das große Projekt des Kirchenneubaus drohte zu scheitern. Die Tutzinger hatten viel Geld gesammelt, doch es reichte nicht aus. Auch sonst gab es vielfältige Schwierigkeiten, Hemmnisse und Verzögerungen seit den ersten Planungen und der Gründung eines Kirchenbauvereins 1885, Auseinandersetzungen im Ort um das Projekt, erstellte und wieder verworfene Entwürfe.

Mit zwei Geldlotterien 1901 und 1903 sowie vielen Benefizveranstaltungen waren bis 1910 mehr als 200 000 Goldmark gesammelt und gestiftet worden. Dann wurde das gesparte Geldes für Kriegsanleihen verwendet, und die Glocken wurden für Rüstungszwecke eingesammelt. 1925 gabe es eine denkwürdige Versammlung im „Tutzinger Hof“, in der der damalige Tutzinger Pfarrer Joseph Boeckeler alle für die neue Kirche begeisterte.

"Du mit deiner Kirche bringst uns noch um Haus und Hof"

Eine holländische Bank vermittelte Anleihen – aber nur unter einer Bedingung: Die damaligen Mitglieder der Kirchenverwaltung mussten mit ihrem Privatvermögen für den Kredit hafteten. „Du mit deiner Kirche bringst uns noch um Haus und Hof“, musste sich Wolfgang Bodemann in seiner Familie vorhalten lassen, wie man in den ausgestellten Erinnerungsstücken nachlesen kann. Wie Bodemann haben viele bekannte Tutzinger Bau- und Handwerksbetriebe an dem neubarocken Bauwerk des Architekten Richard Steidle mitgewirkt: Xaver Knittl mit seinem Baugeschäft, der auch das Kloster und andere bekannte Gebäude errichtet hat, die Schreinerei Müller, die Zimmerei Müller, der Glaser Thallmair, der Metallbauer Blümel, der Maler Otto Feldhütter. Stefanie Knittl erzählte beim Festabend auf der Bühne, dass der Kies aus einer Seeshaupter Kiesgrube ihrer Familie stammte. Die Kirche wurde ohne Kran errichtet. Auf Bildern ist der erste Traktor zu sehen.

Pfarrer Schmuttermair verhinderte Abholung der Ministranten zur Hitlerjugend

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Witzig und eloquent: Pfarrer Brummer moderierte den Festabend kurzweilig

Rund 370 000 Mark betrugen die Gesamtkosten. Mit älteren Tutzingern, von denen einige schon über 90 sind, moderierte Pfarrer Brummer beim Festabend eine Gesprächsrunde, in der viele Erinnerungen wach wurden und alle sehr persönlich ihre ganz eigenen Beziehungen zur Kirche beschrieben. Der Pfarrer freute sich über „ganze Lebensgeschichten, die sich mit diesem Ort verbinden“. Ex-Vizebürgermeister Hubert Hupfauf, mit 84 einer der Jüngeren in diesem Kreis, erzählte davon, wie er 1942 zur Hitlerjugend abgeholt werden sollte, als er ministrierte, und wie der damalige Tutzinger Pfarrer Schmuttermair dies unterband. Genauso kamen aber jüngere Leute auf die Bühne, so beispielsweise Anna und Tobias Brod, frisch vermählt und sichtlich zufrieden in Tutzing. „Die zwei Türme von St. Joseph sind markant, man sieht die Kirche fast von Seeshaupt bis Starnberg“, schwärmte der leidenschaftliche Segler Tobias Brod. Pfarrer Brummer berichtete über viele Hochzeiten keineswegs nur von Tutzingern in dieser Gemeinde.

Hohe Spenden und viel persönliches Engagement früher und heute

Ein von Lieselotte Garke detailreich zusammengestellter und von Stefan Ulrich anregend gesprochener Film zeigte zahlreiche Eindrücke über die Geschichte von St. Joseph und das Kirchenjahr. Bis in die heutige Zeit setzt sich das bemerkenswertes Gemeinschaftsgefühl fort.

Nennenswerte Summen für bestimmte Teile der Kirche stammen von Spendern wie dem früheren Schlossbesitzer Marczell von Nemes, den Geschwistern Quindt, Thomas von Mitschke-Collande, Karl Feldhütter oder der Fürstenfamilie Thurn und Taxis. Erhebliches unentgeltliches Engagement haben andere beigesteuert, unter ihnen Mitglieder der Kirchenverwaltung wie der Bauunternehmer Klaus Feldhütter und Adolf Wiedemann bei Renovierungen der Kirche.

„Ich kam von einer modernen Kirche und war zuerst etwas verunsichert“, sagte Pfarrer Brummer, „aber heute bin ich zutiefst dankbar, in dieser Kirche und mit all den Menschen hier Dienst tun zu dürfen.“

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Nostalgie pur: Viele Besucher erschienen in Kleidung der 1920er Jahre

"Als Bürgermeisterin habe ich zurzeit viel damit zu tun, dass alle sehr groß bauen wollen, aber wünschen, dass ihr Nachbar nicht baut", sagte Tutzings Rathauschefin Marlene Greinwald heute beim Empfang im Brunnenhof von St. Joseph überspitzt und merklich bedauernd. Die "Gemeinschaftserfahrung" beim Bau der Pfarrkirche vor 90 Jahren erschien ihr als erfreulicher Gegensatz zum verbreiteten Egoismus unserer Tage.

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Tutzings Bürgermeisterin Marlene Greinwald (li) und Jacqueline Legée, die Vorsitzende des französischen Partnerschaftsvereins, unterhielten sich angeregt
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