Von vorOrt.news

"Der kraftvollste Vordenker Europas"

Interview mit Akademie-Chef Hahn zur Verleihung des Toleranzpreises an Emmanuel Macron

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Verankerung in der Region wichtig: Akademiedirektor Pfarrer Udo Hahn (li.) und Tutzings katholischer Pfarrer Peter Brummer © L.G.

Manchmal paaren sich Ereignisse ganz unterschiedlicher Art. Soeben hat die Evangelische Akademie Tutzing den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron als neuen Träger ihres renommierten Toleranzpreises ausgewählt - und kurz darauf musste sich Macron in seinem Parlament zwei Misstrauens-Abstimmungen stellen. Er hat sie klar gewonnen. Akademie-Direktor Udo Hahn bezeichnet Macron im Interview mit vorOrt.news als "den kraftvollsten visionären Vordenker zur Weiterentwicklung Europas". Vor dem Hintergrund des Anspruchs "Europa der Regionen" auf die vielen Verbindungen in der hiesigen Region mit Frankreich angesprochen, sagt Hahn, die Verankerung in der Region sei wichtig. Die Akademie verfüge jedoch nicht über die Kapazitäten, sich in all die lokalen und regionalen Netzwerke aktiv einzubinden.

vorOrt.news: Wer hat die Entscheidung getroffen?

Udo Hahn: Der Toleranz-Preis wird jetzt zum zehnten Mal vergeben. Die Entscheidung haben wir diesmal hausintern getroffen.

vorOrt.news: In unserer Region gibt es zahlreiche Bezugspunkte zu Frankreich, so durch die vielen Städtepartnerschaften: Tutzing-Bagnères de Bigorre, Bernried-Samoreau, Starnberg-Dinard und andere. Spielen auch solche und andere lokale und regionale Themen bei der Verleihung des Toleranzpreises eine Rolle - Stichwort „Europa der Regionen“? Gab es im Vorfeld Gespräche mit den Zuständigen?

Hahn: Als Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bezieht sich unser Auftrag auf den gesamten Freistaat. Darüber hinaus haben wir eine bundesweite und internationale Ausstrahlung. Zugleich ist für uns die Verankerung in der Region wichtig, dass unsere Angebote auch für Menschen aus dem Landkreis offen sind und von diesen wahrgenommen werden. Dass wir uns in all die lokalen und regionalen Netzwerke aktiv einbinden, dazu haben wir leider nicht die Kapazitäten.

vorOrt.news: Standen auch andere Persönlichkeiten für den Toleranzpreis zur Debatte?

Hahn: Darüber geben wir keine Auskunft.

vorOrt.news: Soll der Toleranzpreis noch in diesem Jahr verliehen werden?

Hahn: Das ist der Plan, das haben wir aber nicht in der Hand. Beim damaligen Bundesaußenminister Steinmeier lag zwischen der Bekanntgabe und der Verleihung fast ein Jahr.

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Deutsch-französische Nähe: Unweit des "Tutzinger Biergartens" gibt es den "Bagnères-de-Bigorre-Park" © L.G.

"Toleranz heißt für mich nicht, alles und jeden zu akzeptieren"

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Keine Toleranz für die Intoleranz: Evangelische Akademie Tutzing © Evangelische Akademie

vorOrt.news: Ausgerechnet bei der Evangelischen Akademie gab es vor Jahren einen Fall fehlender Toleranz, der Aufsehen erregt hat: Wegen eines Auftritts von Thilo Sarrazin in der Akademie haben mehrere prominente Eingeladene - unter ihnen die damalige Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth - ihre Teilnahme abgesagt. Ist ein solches Verhalten aus Sicht der Akademie-Leitung akzeptabel? War es ein Einzelfall oder muss man Bedenken haben, dass andere Meinungen zunehmend nicht mehr toleriert werden?

Hahn. Der Fall, auf den Sie sich beziehen, liegt in der Zeit meines Vorgängers. Da ich die seinerzeitigen Umstände, Beweggründe etc. nicht kenne, kann ich dazu keine Stellung nehmen. Die Evangelische Akademie Tutzing ist ein Ort des Diskurses. Lösungen oder wenigstens Teillösungen für die Herausforderungen in Politik und Gesellschaft liegen meist nicht auf der Hand. Sie werden im Meinungsstreit entwickelt, gefunden. Toleranz heißt für mich nicht, alles und jeden zu akzeptieren. Friedrich der Große hat das Motto geprägt: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden.“ Das kann man missverstehen, als könne es einem gleichgültig sein, was andere machen. Wir brauchen nicht ein passives, sondern ein aktives Verständnis von Toleranz, das sich für den Anderen, den Fremden interessiert, zu verstehen versucht – und wenn erforderlich, auch widerspricht. Ich habe deshalb 2012 bei unserem Toleranz-Preis die Kategorie „Zivilcourage“ eingeführt, um diesen Aspekt zu betonen, der für mich mit Toleranz verbunden ist. Der Preisträger/die Preisträgerin in dieser Kategorie wird Anfang September bekannt gegeben. Die Evangelische Akademie Tutzing setzt sich für eine soziale, gerechte und auf Teilhabe ausgerichtete Gesellschaft ein. Und sie ist gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus. Vor diesem Hintergrund gibt es Grenzen der Toleranz. Oder mit den Worten des Musikers Leslie Mandoki aus seiner Kanzelrede der Evangelischen Akademie Tutzing: „Keine Toleranz für die Intoleranz!“

"Eine klare Absage gegenüber Besorgnis erregenden nationalistischen Tendenzen"

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Jens Spahn und Christian Lindner sind die deutschen Emmanuel Macrons: Das will die Beratungsgesellschaft "komm.passion" aufgrund von Klicks in sozialen Netzwerken herausgefunden haben © obs/komm.passion GmbH Düsseldorf/komm.passion/Illu: Tobias Dahmen

vorOrt.news: Auch Staatspräsident Macron muss sich mittlerweile trotz der großen Anerkennung, die er genießt, auch mit Kritik auseinandersetzen. Ist der Toleranzpreis auch als Aufruf an Kritiker zu verstehen, sich demokratisch mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen - gerade auch vor dem Hintergrund der in der Akademie in Sachen Sarrazin gesammelten Erfahrungen?

Hahn: Die Evangelische Akademie Tutzing würdigt Staatspräsident Emmanuel Macron als „mutigen Vordenker für die Erneuerung Europas. Sein Engagement gegen Nationalismus, sein Bemühen um eine Vertiefung der Gemeinschaft sowie sein Eintreten für Toleranz und Souveränität, Solidarität und Gerechtigkeit sind wegweisend“, heißt es in unserer Begründung. Persönlich möchte ich noch dies hinzufügen: Die Verständigung zwischen Nationen, Religionen und Kulturen ist eine Überlebensfrage der Menschheit. Mehr denn je braucht es hierfür Vorbilder – wie Emmanuel Macron. Wie auch immer man im Einzelnen die Ideen und Vorschläge von Macron zu Europa beurteilen mag, sie sind – so nehme ich sie wahr – von der Haltung geprägt, den Zusammenhalt zu stärken. Und sie sind eine klare Absage gegenüber Besorgnis erregenden nationalistischen Tendenzen, die sich seit geraumer Zeit breit machen. Emmanuel Macron empfinde ich aktuell als den kraftvollsten visionären Vordenker zur Weiterentwicklung Europas. Seine Überlegungen haben die europäische Idee zu einem Top-Thema gemacht, das alle Menschen angeht. Weiteres wird im Rahmen des Festaktes eine Persönlichkeit ausführen, die wir um die Laudatio bitten.

Die Fragen stellte Lorenz Goslich

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Quelle Titelbild: obs/komm.passion GmbH Düsseldorf/komm.passion/Illu: Tobias Dahmen
ID: 1020
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