
Nach zwölf Jahren in Tutzing wechselt die evangelische Pfarrerin Ulrike Wilhelm nach Garmisch-Partenkirchen. Am Sonntag nach einem Abschiedsgottesdienst endet ihre Amtszeit. In der evangelischen Kirchengemeinde wird es dann erst einmal eine mehrmonatige Vakanz geben - das bedeutet, es wird eine ganze Weile dauern, bis die Pfarrstelle wieder besetzt wird.
In dieser Zeit übernehmen Pfarrer Michael Stein und Diakon Ralf Tikwe, beide aus Feldafing, die so genannte Kasual-Vertretung, so für Sterbefälle, Taufen und Hochzeiten. Tikwe wird für das Altenheim Garatshausen und für Beerdigungen zuständig sein. Die neue Pfarrstelle wird ausgeschrieben, dann wird auf Bewerbungen gewartet. Aus denen wählt die Landeskirche drei aus. Sie werden dann dem Tutzinger Kirchenvorstand vorgelegt, der aus ihnen den Nachfolger oder die Nachfolgerin bestimmen wird. Bis April oder Mai wird das wohl dauern, schätzt Ulrike Wilhelm. Zweite Pfarrerin in Tutzing bleibt Dorothee Geißlinger-Henckel.
Manch einer wird sich fragen, weshalb dieser Prozess nicht früher eingeleitet worden ist, denn dass Ulrike Wilhelm Tutzing verlässt, ist schon seit September bekannt. Eine Vakanz sei für eine Pfarrgemeinde aber eher positiv, sagt sie dazu: „Da werden Kräfte freigesetzt, auch von Ehrenamtlichen.“ Zum Beispiel übernimmt nun Walter Kohn den viermal im Jahr erscheinenden Gemeindebrief, dessen Chefredaktion bislang bei ihr lag. Die Vakanz erleichtert auch die erforderliche Renovierung des Pfarrhauses. Bei einem Flohmarkt sind bereits an zwei Wochenenden Teile ihres persönlichen Inventars abgegeben worden - gegen Spenden, deren Höhe die Erwerber selbst bestimmen konnten. 850 Euro sind dabei hereingekommen, die das Ehepaar Ulrike und Karl Wilhelm an "Brot für die Welt" und ein Straßenkinder-Hilfsprojekt in Bolivien weitergibt.
Marathon, Mountainbike und Makaruli

Mit ihrem Wechsel nach Garmisch-Partenkirchen erfüllt sich die 57-Jährige auch einen sehr persönlichen Wunsch. Sie liebt die Berge, klettert leidenschaftlich gern, liebt Österreich und Italien - und in ihrer neuen Tätigkeit wird sie unter anderem für Berggottesdienste zuständig sein. Nach einer Zusammenlegung der Pfarrgemeinden von Garmisch und Partenkirchen gibt es dort vier Pfarrerstellen. Jede von ihnen ist mit Schwerpunkten verbunden. Bergspiritualität und die Arbeit mit Gästen zählen für Ulrike Wilhelm dazu. Sie hat sich schon eine Menge vorgenommen, Vollmondwanderungen zum Beispiel oder einen Gottesdienst zusammen mit einem Streichquartett auf dem Gipfel der exponierten Alpspitze.
Die sportliche Theologin, die schon durch den Starnberger See geschwommen ist, den Münchner Marathonlauf absolviert hat und Mountainbiken liebt, spielt auch in ihrer eigenen Band „Makaruli“ Gitarre, singt und komponiert. Zu Garmisch gibt es noch einen weiteren persönlichen Bezug: Ihr Großvater hat in den 1920er Jahren als Arbeiter an der Zahnradbahn auf die Zugspitze mitgebaut und in Garmisch seine Frau, eine Büglerin in einem Hotel, geheiratet. Ulrike Wilhelms Mutter wurde in Garmisch geboren.
Abschied: Manche sind aus allen Wolken gefallen
Wie die Reaktionen auf ihren Abschied waren? Manche seien „aus allen Wolken gefallen“, sagt sie. Sogar manche recht kritische Stimmen gab es. Im Supermarkt habe sie plötzlich jemand angesprochen und ihr vorgehalten:. „Jetzt sind wir Ihnen wohl nicht mehr gut genug...“ Alles in allem habe es jedoch viel Verständnis für ihre Entscheidung gegeben. Sie macht sogar die Erfahrung, dass nicht wenige Tutzinger nun mit Problemen zu ihr kommen, von denen sie die ganzen Jahre zuvor nicht gesprochen haben - ein Effekt, der aus der Tiefenpsychologie bekannt ist.
Nach Tätigkeiten in Franken, München und Icking sowie als Rundfunkpredigerin hatte Ulrike Wilhelm vor zwölf Jahren unter ihrem früheren Namen Ulrike Aldebert in Tutzing angefangen. Während ihrer Tutzinger Zeit hat sie auch eine schwere persönliche Phase durchgemacht. Vor sieben Jahren haben sie und ihr erster Mann sich scheiden lassen. Anschließend hat sie den pensionierten Lehrer Karl Wilhelm geheiratet. Da war zunächst keineswegs klar, dass sie bleiben konnte - so etwas kann ein Kirchenvorstand in solchen Fällen entscheiden. Er hat sich nach einigen Diskussionen einstimmig, bei einer Enthaltung, für ihren Verbleib in Tutzing ausgesprochen. Sie ist bis heute dankbar dafür.
„Wie viele dachte ich zunächst, dass da am Starnberger See doch vor allem reiche Leute wohnen“, erinnert sie sich. Sie habe aber schnell gemerkt, dass man das sehr viel differenzierter sehen müsse und dass es in der hiesigen Region auch viele Menschen gebe, die mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben. Auch der Bundeswehr habe sie, eher aus der Friedensbewegung kommend, distanziert gegenübergestanden und dann viel mit Soldaten, die in Tutzing wohnen, zu tun gehabt. Aber sie hat festgestellt, dass unter ihnen sehr nachdenkliche, reflektierende Menschen sind, die sie schätzen gelernt hat.
"Ich bin stolz, ein gut bestelltes Haus hinterlassen zu können"

Das zentrale Projekt in Tutzing war für Ulrike Wilhelm die Sanierung der Christuskirche. Von 2010 bis 2015 hat es sich hingezogen. Sie hat sich engagiert mit diesem Vorhaben befasst und erfolgreich für einen höheren Beitrag der Landeskirche gesorgt, als zunächst geplant war. Geholfen haben auch Spenden und eine Erbschaft. „Wir sind heute schuldenfrei“, sagt die Pfarrerin: „Ich bin stolz, ein gut bestelltes Haus hinterlassen zu können.“
In dieser Phase gab es auch innerhalb der evangelischen Pfarrgemeinde manche Diskussionen, die zu überstehen waren. Ulrike Wilhelm hat sich dabei vor allem als Kommunikatorin verstanden und damit erreicht, dass letztlich alles gut gelaufen ist. Rund 700 000 Euro hat alles zusammen gekostet, wobei zu berücksichtigen ist, dass darin auch eine umfassende energetische Sanierung aller Kirchengebäude - also samt Gemeinde- und Pfarrhaus - mit erledigt wurde. Die Kirchensanierung gilt als Erfolg. Ulrike Wilhelm ist stolz darauf: „Ich weiß, wie der Ärger um Kirchenbauten manche Pfarrgemeinden spalten.“
Zu ihren maßgeblichen Aktivitäten gehört auch ein Solidaritätsprojekt zwischen Nord- und Südbayern im Engagement gegen Rechtsextremismus, das als Modellprojekt gilt. In der oberfränkischen Kirchengemeinde Regnitzlosau (Landkreis Hof) ist in Zusammenarbeit von Kommune und Kirche eine Arbeitsstelle „Jugendarbeit und Extremismusprävention“ geschaffen worden, zu deren Finanzierung eine von Ulrike Wilhelm initiierte Solidaraktion „Bunt statt braun“ von südbayerischen Gemeinden maßgeblich beiträgt.

Am Sonntag findet um 17 Uhr in der Tutzinger Christuskirche der Abschiedsgottesdienst für Ulrike Wilhelm statt. Dekan Axel Piper wird ihre „Entpflichtung“ vornehmen. Um 18.30 Uhr folgt ein Empfang im Roncalli-Haus der katholischen Kirche - auch aus diesem Anlass noch einmal ein Signal für die Ökumene, die Ulrike Wilhelm an Tutzing besonders schätzt. Beim Neujahrsempfang der katholischen Pfarrgemeinde am Sonntag gab sie sich überzeugt, dass eines Tages nicht mehr von Menschen mit evangelischer und katholischer Konfession die Rede sein wird, sondern von Christen. Mit dem katholischen Pfarrer Peter Brummer verbindet sie schon lange eine Freundschaft.
Die Feiern zum Reformationsjubiläum im vorigen Jahr waren für sie das „Highlight“. Vor 20 Jahren, sagt sie, hätte man sich ein solches Miteinander der Konfessionen nicht vorstellen können. Immer noch ergriffen schwärmt sie von den Erlebnissen an diesem Tag: wie hunderte Protestanten und Katholiken aufeinander zu gingen, sich trafen und den evangelischen Gottesdienst aus der Christuskirche in der Pfarrkirche St. Joseph abschlossen, wie sich die Schwestern des Tutzinger Klosters eingebracht haben, wie mit einer ökumenischen Erklärung der feste Wille zur weiteren Zusammenarbeit bekräftigt wurde und welche Begeisterung die beiden Aufführungen des Luther-Poporatoriums ausgelöst haben.
Pfarrerin Wilhelm und Pfarrer Brummer hoben in der Kirche zum Gelächter der Gläubigen die Spiritualität in ganz besonderer Form hervor. Ulrike Wilhelm überreichte ihrem katholischen Kollegen eine ganz neu kreierte Flasche „Tutzinger Ökumenegeist“. Pfarrer Brummer dankte ihr mit einer Flasche Roncalliwein. Wie sich beim gemeinsamen Mittagessen im Roncallihaus herausstellte, wohnt der evangelischen Flasche ein mächtiger Geist inne: Er bringt es auf stolze 55 Prozent! Spiritualität kommt ja vom lateinischen spiritus, also auch Hauch – und den gab dann manch einer der Probanden spontan von sich.
Abreißen werden die Kontakte zu Tutzing nicht. Ulrike Wilhelm bleibt im selben Dekanat, als „Seniorin“ ist sie auch für Tutzing zuständig, so etwa bei Konfliktfällen. Sie gehört der Landessynode an und verfügt dadurch über beste Kontakte zur Landeskirche.
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