Musterbeispiel für Ökumene: Evangelische und katholische Christen feiern in Tutzing gemeinsam das Reformationsjubiläum. In einer ökumenischen Erklärung wird die Zusammenarbeit bekräftigt.
So hätten es Pfarrerinnen und Pfarrer gern an jedem Sonntag. Dieser Dienstag, 31. Oktober 2017, ist aber wie tatsächlich ein Sonntag: Nicht nur hatten die Geschäfte geschlossen, sondern pausenlos strömten die Gläubigen in die evangelische Christuskirche, bis alle Sitzplätze restlos besetzt waren. Hinten standen sogar zu spät Gekommene.
Allein durch den gewaltigen Andrang wurde der Festgottesdienst zum 500. Reformationsjubiläum gebührend gewürdigt. An diesem Tag vor genau 500 Jahren hatte Martin Luther an die Pforten der Schlosskirche zu Wittenberg seine 95 Thesen angeschlagen.
Geleitet wurde der Gottesdienst von den Pfarrerinnen Ulrike Wilhelm und Dorothee Geißlinger-Henckel sowie der Diakonin Beatrix Bayerle. Die Musik sorgte für den entsprechenden Rahmen: Wie für einen Fürsten gemacht – in diesem Falle zu Ehren Gottes, erhabene Klänge von Vivaldi und Telemann, vorgetragen von zwei Trompetern und dem Organisten Dr. Martin Focke.
Die Überwindung der Angst
Thema der Predigt von Pfarrerin Uli Wilhelm war die Überwindung der Angst. Im Mittelalter habe die Kirche den Menschen Furcht eingeflößt, um ihre eigene Position zu stärken. Das sei ein für allemal vorbei, sagte Uli Wilhelm. Heute habe sich die Vorstellung vom liebenden Gott ganz klar durchgesetzt. Jeder Mensch, vor allem aber auch der Christ, habe die Freiheit, selber über seine Wünsche und Lebensvorstellungen zu entscheiden, so wie Martin Luther gegen den Widerstand der Kirche gefordert habe: „Selber denken“. Darauf komme es an.
Weitaus länger als normalerweise dauerte das Abendmahl, an dem evangelische wie auch katholische Christen einträchtig teilnahmen. Angesichts dessen, dass Bischöfe und Kardinäle dieses meist noch ablehnen, war es ein wahres Musterbeispiel für die Ökumene in Tutzing.
Die beiden Tutzinger Kirchengemeinden bekräftigen ihr Miteinander
Anschließend zogen die Gottesdienstbesucher in einer hunderte Meter langen Schlange hinüber zur katholischen Pfarrkirche St. Joseph. Erst dort wurde der vorherige Gottesdienst abgeschlossen, mit Fürbitten, die das christliche Miteinander hervorhoben.
Danach unterzeichneten Pfarrer Peter Brummer, Pfarrerin Ulrike Wilhelm, Gudrun Willbold, die Vorsitzende des evangelischen Kirchenvorstands, und Waltraud Brod, die Pfarrgemeinderatsvorsitzende von St. Joseph, eine gemeinsame ökumenischen Erklärung. In ihr bekräftigen beide Tutzinger Kirchengemeinden den festen Willen, weiterhin ökumenisch zusammenzuarbeiten und sich durch nichts davon abbringen zu lassen.
Ein mächtiger Geist in der Flasche
Bei dieser Gelegenheit hoben die beiden Pfarrer zum Gelächter der Gläubigen die Spiritualität noch in weiterer Form hervor. Ulrike Wilhelm überreichte ihrem katholischen Kollegen eine ganz neu kreierte Flasche „Tutzinger Ökumenegeist“. Pfarrer Brummer dankte ihr mit einer Flasche Roncalliwein. Wie sich beim gemeinsamen Mittagessen im Roncallihaus herausstellte, wohnt der evangelischen Flasche ein mächtiger Geist inne: Er bringt es auf stolze 55 Prozent! Spiritualität kommt ja vom lateinischen spiritus, also auch Hauch – und den gab dann manch einer der Probanden spontan von sich.
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Helge Haaser, Passau