Gemeinde
13.11.2024
Von vorOrt.news

Neuer Grundsteuer-Hebesatz in Tutzing 420 Prozent

Bisher 330 und 340 Prozent – Grüne setzen sich mit Antrag auf kräftigere Erhöhung nicht durch

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Die Einnahmen der Gemeinde Tutzing bei verschiedenen Hebesätzen wurden bei der Sitzung präsentiert © L.G.

Die von höherer Stelle quasi verordnete Reform der Grundsteuer hat im Tutzinger Gemeinderat am Dienstag für eine ausgiebige Diskussion gesorgt. Schon im Vorfeld hatte es intensive Besprechungen darüber gegeben, aber noch keine Einigung auf die konkrete Vorgehensweise der Gemeinde, für die die Grundsteuer eine der wichtigen Einnahmequellen bildet. Bürgermeister Ludwig Horn erläuterte ausführlich die komplizierte Lage. In der Folge eines Bundesverfassungsgerichts-Urteils von 2018 hat das Finanzamt den Bürgern neue Grundsteuer-Messbescheide zugeschickt. Mit der festgelegten Messzahl wird der in einer Gemeinde gültige Hebesatz multipliziert, daraus ergibt sich die fällige Grundsteuer. Wenn die bisherigen Hebesätze beibehalten würden, dann würde dies nach Horns Angaben zu etwa um 200 000 Euro geringeren Grundsteuer-Einnahmen für die Gemeinde als bisher führen.

Damit stellte sich die Frage, ob die Gemeinde mit einem etwas höheren Hebesatz die Einnahmen aus dieser Steuer auf etwa dem gleichen Niveau halten oder bei dieser Gelegenheit mit einer kräftigen Erhöhung des Hebesatzes für deutlich höhere Einnahmen sorgen sollte. Für diese zweite Variante plädierten die Grünen. Angesichts der Tutzinger Finanzschwäche hielten sie eine solche Steuererhöhung für sinnvoll. Sie konnten sich damit aber nicht durchsetzen, die Mehrheit des Gemeinderats wollten ihrem Antrag nicht folgen. So wurde schließlich eine Neufestsetzung des Grundsteuer-Hebesatzes auf 420 Prozent beschlossen, und zwar sowohl für die „Grundsteuer A“, die landwirtschaftliche Betriebe zu zahlen haben (bisher 330 Prozent) als auch für die „Grundsteuer B“, die für alle anderen bebauten und unbebauten Grundstücke gilt (bisher 340 Prozent). Das führt für die Gemeinde zu einer leichten Erhöhung der Grundsteuer-Einnahmen.

Bundes- und Landesregierung hatten den Kommunen eine „Aufkommensneutralität“ empfohlen. Dazu sagte Michael Ehgartner von den Grünen: „Von uns besteht gar nicht der Wunsch, aufkommensneutral zu bleiben.“ In der Gemeinde Tutzing seien die Ausgaben höher als die Einnahmen. Mit ihrem Antrag (siehe pdf) forderten die Grünen die Gemeindeverwaltung auf, Hebesätze vorzuschlagen, die einen Beitrag zu einer notwendigen Konsolidierung des Tutzinger Haushalts leisteten: „Die Grundsteuer B sollte zu einer weiteren wesentlichen Säule unseres kommunalen Haushalts werden.“

Schiefes Stativ als Symbol für Ungleichverhältnis im Tutzinger Haushalt

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Schiefe Angelegenheit: Michael Ehgartner brachte ein Stativ mit, um ungleiche Finanzierungssäulen im Tutzinger Gemeindehaushalt zu erläutern © L.G.

Die kommunalen Einnahmen der Gemeinde Tutzing ruhten im Wesentlichen auf zwei Säulen, argumentierte Ehgartner: Einkommensteuerbeteiligung und Gewerbesteuer mit jeweils rund einem Drittel des Verwaltungshaushalts. Die Grundsteuer B steuere zu diesem zurzeit nur etwa 5,6 Prozent bei. Die Höhe der Einkommensteuerbeteiligung könne die Gemeinde nicht beeinflussen, die Gewerbesteuer werde nur von Gewerbetreibenden gezahlt, einer vergleichsweise kleinen Gruppe. Die Grundsteuer dagegen werde von allen Personen bezahlt, die Flächen in Tutzing nutzen, und damit von der gesamten Bürgerschaft. Um das bisherige Ungleichverhältnis optisch darzustellen, hatte Ehgartner ein Stativ in die Sitzung mitgebracht. Mit zwei etwa gleich langen Fußen für Einkommensteuerbeteiligung und Gewerbesteuer sowie einem kürzeren Fuß für die Grundsteuer stand das Stativ ziemlich schief da. Um die Länge dieses Fußes an die anderen anzugleichen, konnte sich Ehgartner sogar eine Verdoppelung des Hebesatzes vorstellen. Er schlug einen Hebesatz von 500 Prozent vor.

Mehrere Gemeinderatsmitglieder anderer Parteien äußerten sich dagegen. Unter anderem gab es Warnungen, dass man sich mit einer starken Steuererhöhung unglaubwürdig machen würde, weil Aufkommensneutralität angekündigt worden sei, so Dr. Thomas von Mitschke-Collande (CSU). Zudem würde die höhere Grundsteuer über die Nebenkosten auf die Mieter durchschlagen. Der Antrag der Grünen sei kein „Unthema“, er komme aber zur „Unzeit“, meinte Stefan Feldhütter (Freie Wähler). Auch auf viele Preiserhöhungen wurde verwiesen. Das werde für die Bürger zu viel, mahnte Barbara Doll (fraktionslos). „Darauf sollten wir Rücksicht nehmen.“

Die Entscheidung musste schnell getroffen werden, weil die neue Regelung bereits auf die Steuerbescheide anzuwenden ist, die vom Jahresanfang 2025 an verschickt werden. Für die alten Hebesätzen hätte es wegen des Urteils keine Rechtsgrundlage mehr gegeben, was laut Horn direkte negative Folgen für die Liquidität der Gemeinde gehabt hätte. Aber so ganz klar ist dennoch nicht alles. Die Finanzämter waren mit den Neuberechnungen offenkundig überlastet, sie haben noch nicht alle Bemessungsgrundlagen fertiggestellt. Und es gibt Kritik an nicht wenigen der den Eigentümern vom Finanzamt zugeschickten neuen Grundsteuer-Messbescheide, bei denen Betroffene zum Teil Fehler vermuten. Verständlich wird das vor allem in solchen Fällen, bei denen es zu erheblichen Erhöhungen der Grundsteuer kommt. Vom Dreifachen bis zum Zehnfachen der bisherigen Beträge soll das reichen.

„Die extremen Abweichungen sind nicht auf den Hebesatz zurückzuführen, sondern auf die neue Bemessungsgrundlage“ bekräftigte Horn. Berichtigungen der vom Finanzamt zugesandten Messbescheide sind deshalb nicht ausgeschlossen, wie Horn sagte. Mit der jetzt beschlossenen Neuregelung des Hebesatzes wird die Angelegenheit deshalb auch für die Gemeinde Tutzing nicht abgeschlossen sein. Bürgermeister Horn erwartet weitere Diskussionen über die Grundsteuer schon in nicht allzu langer Zeit.

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Der Tutzinger Gemeinderat treibt die soziale Spaltung in der Gemeinde voran – und versteckt sich dabei hinter einer Fassade sozialer Argumente.

Mit dem beschlossenen Hebesatz macht sich Tutzing zum Steuerparadies für Grundbesitzer am Starnberger See. Diese Entscheidung beschleunigt nicht nur die Umverteilung von unten nach oben, sondern bahnt auch den Weg zur Veräußerung wertvollen Gemeindeeigentums wie des Kustermannparks und der Kustermannvilla. Diese Prunkstücke im Besitz der Bürger werden, und da schließt sich der Kreis, in die Hände vermögender Grundbesitzer wandern.

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