Gastronomie
3.4.2018
Von Lorenz Goslich

Unscharfe Strategien

Bei Tutzings gastronomisch ungenutzten Wirtshäusern sind die Ziele nicht immer klar

Eine Besucherin brachte es am Ostersonntag auf den Punkt: "Wir sind ja schon froh, wenn überhaupt ein Lokal offen hat", kommentierte sie süffisant bei der Eröffnung des Restaurants "Mille Lire" an der Ecke Marienstraße/Hauptstraße. Eine überspitzte Bemerkung, keine Frage: Auch in Tutzing gibt es zwar mehrere derzeit gastronomisch nicht mehr genutzte Lokale, aber auch nach wie vor etliche gut geführte Restaurants.

Doch tatsächlich hebt sich der Fall des "Mille Lire", bisher "Made in Sud'", gleich von mehreren Vorgängen in der Tutzinger Gastronomie ab, die ganz anders verlaufen sind und bei denen immer noch nicht abzusehen ist, wie es weitergeht: Andechser Hof, Bauerngirgl und Sportlerstüberl. Bei ihnen gibt es gewisse Parallelen. In allen drei Fällen waren bereits Ansätze für Neuanfänge erkennbar. In allen drei Fällen stehen recht aufwändige Investitionen an. Bei allen drei Lokalen ist es zu Verzögerungen gekommen, deren Gründe für Außenstehende kaum erkennbar sind. Zudem scheinen die Strategien nicht immer klar zu sein. Hier kommt es zu Änderungen ursprünglicher Absichten, dort müssen Pläne verworfen werden, oder deren Realisierungen zögern sich hinaus.

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Leer: Saal des Andechser Hofs © L.G.
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Leer: Balkon des Sportlerstüberls © L.G.

Andechser Hof: Erst Pächter gesucht, dann Investor, nun Verkauf geplant

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Wo, bitte, geht es zum Biergarten? © L.G.

Seit mehr als zwei Jahren steht der Bauerngirl leer, seit mehr als drei Jahren das Sportlerstüberl und sogar seit mehr als sechs Jahren der Andechser Hof, bei dem auch Bürgeraktionen mit Unterschriftenlisten nichts genutzt haben.

Beim "Andechser Hof" war die Strategie der Eigentümer lange unscharf. Das Kloster Andechs hat zunächst über Jahre den Anschein erweckt, das Wirtshaus neu verpachten zu wollen. Dann ist wiederum lange mit einem Investor verhandelt worden, der das Projekt mit einer Wohnbebauung im hinteren Grundstücksteil und einer Gastronomie im vorderen Teil verbinden wollte oder sollte. Letztlich ist, wohl wegen unterschiedlicher Vorstellungen, auch aus diesen Plänen nichts geworden. Vor einigen Monaten wurde dann eine neue Entscheidung bekanntgegeben: Der Andechser Hof soll verkauft werden. Angeblich gibt es Interessenten - doch konkret scheint nach wie vor nichts zu sein. Unklar bleibt vorerst auch, ob im Fall einer Neueröffnung des Wirtshauses der für große Veranstaltungen früher viel genutzte Saal aufrechterhalten bliebe.

Sportlerstüberl: Vielleicht Gastronomie, vielleicht aber auch ein Haus der Vereine

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Vorerst vorbei: Für viele Mitglieder des TSV Tutzing war das Sportlerstüberl wie eine zweite Heimat © L.G.

Keine klare Strategie scheint es auch bei der Gemeinde Tutzing über die Zukunft des ihr gehörenden Sportlerstüberls zu geben. Zunächst hat sie mit mehreren Ausschreibungen neue gastronomische Pächter gesucht. Im Verlauf von Bewerberrunden daraufhin scheint es auch diverse Interessenten gegeben zu haben. In mehreren Fällen war man aber bei der Gemeinde eher skeptisch. So soll es Kandidaten gegeben haben, die sich nur schriftlich geäußert und es nicht für nötig gehalten haben sollen, sich persönlich in Tutzing vorzustellen. Zumindest in einem Fall waren die Verhandlungen aber offenbar schon weit gediehen, und zwar mit dem bisherigen Betreiber des Restaurants an der Marienstraße, des "Made in Sud". Wie weit die Vereinbarungen waren, ist bisher öffentlich nicht bekannt geworden. Jedenfalls sind auch diese Pläne gescheitert - und der betreffende Gastronom hat Tutzing nun sogar komplett verlassen. Mittlerweile scheint nicht einmal mehr klar zu sein, ob das Sportlerstüberl überhaupt als Gastronomie fortgeführt wird. Bürgermeisterin Marlene Greinwald hat dies jedenfalls ausdrücklich offen gelassen. Vor ihrer Wahl hat sie gesagt, dass sie in diesem Gebäude auch ein Haus der Vereine oder eine ähnliche Gemeinschaftseinrichtung für denkbar hält. Aktuell geht es bereits in diese Richtung: Da noch kein Gastronom gefunden worden ist, hat die Gemeinde das Sportlerstüberl dem Freizeitclub JM zur Verfügung gestellt, der derzeit wie etliche andere seine vom Kreisbauamt seit Mitte Oktober verschlossenen Räume im alten Lehrerhaus der Grund- und Hauptschule nicht benutzen kann. Eine Tugend aus der Not oder eine Zweckentfremdung? Darüber wird sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

Bauerngirgl: Zurzeit werden nur die Wohnungen genutzt - die Gastwirtschaft nicht

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Gastwirtschaft ohne Gäste: Bauerngirgl in Unterzeismering © L.G.

Beim Bauerngirgl scheint es zumindest bisher keine Zweifel daran zu geben, dass die Wirtschaft wieder eröffnet werden soll. Dennoch dauert es auch in diesem Fall viel länger als zunächst gedacht. Der vorerst letzte Betreiber hat schon vor mehr als zwei Jahren aufgehört. Die neuen Pächter Martin und Max Hippius, die von der Gemeinde Tutzing auch das Südbad gepachtet haben, wirkten zunächst eigentlich recht zuversichtlich, das früher beliebte Wirtshaus in Unterzeismering schon bald wieder öffnen zu können. Doch wie in den anderen beiden Fällen zieht sich die Angelegenheit immer länger hin. Dass noch in diesem Jahr aus einer schon lange angekündigten neuen bayerischen Wirtschaft etwas wird, hat Martin Hippius im Februar auf Anfrage von vorOrt.news als möglich, aber nicht als sicher bezeichnet. Woran die Verzögerungen liegen, dazu hat er sich nicht näher geäußert. Die Wohnungen in den Obergeschossen nutzt er aber schon seit längerer Zeit für sich und Mitarbeiter.

Sinn langer Leerstände selbst bei künftig höheren Einnahmen umstritten

Die Strukturen sind in den drei Fällen nicht vergleichbar, weil es sich zum einen um den Betrieb eines Klosters (Andechser Hof), zum anderen um eine kommunale Einrichtung (Sportlerstüberl) und dann wieder um privates Eigentum (Bauerngirgl) handelt. Umso mehr fallen die Parallelen bei den langwierigen Prozessen auf, bei denen wohl auch behördliche Vorgaben und Auflagen ihre Rolle spielen dürften.

Für Verwunderung unter den Tutzingern sorgen die Leerstände oder Zweckentfremdungen aber durchaus. Schließlich waren alle drei leer stehenden Gaststätten zu ihrer jeweiligen Betriebszeit beliebt, sie alle hatten auch viele Stammgäste. Sehr lange Leerstände gibt es auch in anderen Fällen, so beispielsweise im Gewerbekomplex "Foursite" an der Bahnhofstraße, in dem sehr große Büroräume seit Jahren auf Mieter warten. Unter Wirtschaftsexperten ist umstritten, ob sich so lange ungenutzte Zeiten selbst im Fall höherer Einkünfte durch Vermietung oder Verkauf lohnen, die eines Tages möglicherweise erzielt werden können. Umso erstaunlicher ist es, dass es in keinem der drei Gastronomiefälle besondere Eile zu geben scheint - und beim "Foursite" übrigens auch nicht.

Immerhin gibt es zweifellos Nutznießer dieser Situation. Wie von ihr die aktiven Restaurant-Betreiber in Tutzing und Umgebung profitieren, erfahren Besucher solcher Lokale regelmäßig, wenn in etlichen dieser Gaststätten kaum noch freie Plätze zu finden sind. Nicht wenige frühere Stammkunden der derzeit nicht betriebenen Lokale haben sich ohnehin längst andere Lieblings-Gaststätten ausgesucht. Wie gefragt bei dieser Entwicklung auch neue Impulse sind, belegt ganz aktuell das Interesse am zu Ostern neu eröffneten Restaurant "Mille Lire".

Quelle Titelbild: L.G.
ID: 651
Über den Autor
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Lorenz Goslich

Wirtschafts- und Lokaljournalist, Diplom-Kaufmann, Dr. oec. publ. Schreibt für diverse Medien und liebt seinen Heimatort Tutzing.

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