Bildung
16.3.2023
Von vorOrt.news

VdK-Präsidentin Bentele: „Armut ist Zumutung“

Bedford-Strohm letztmals als Landesbischof beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing

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Beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing: (v.l.n.r.): Sabine Rüdiger-Hahn, Akademiedirektor Udo Hahn, Minister Florian Herrmann, VdK-Präsidentin Verena Bentele, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der stellvertretende Akademiedirektor Hendrik Meyer-Magister © Oryk Haist / Evangelische Akademie Tutzing

Etwa 350 Besucher kamen gestern Abend zum diesjährigen Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte kurzfristig ab, ihn vertrat Florian Herrmann, Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien.

Letztmals sprach Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm ein Grußwort bei einem Jahresempfang der Tutzinger Akademie. Morgen werden sich in Nürnberg vier Personen für seine Nachfolge vorstellen: Gabriele Hoerschelmann, Direktorin des Partnerschaftszentrums Mission Eine Welt, Oberkirchenrat Christian Kopp, Regionalbischof im Kirchenkreis München-Oberbayern, Nina Lubomierski, Dekanin aus Landshut und Klaus Schlicker, Dekan aus Windsbach. Die Entscheidung über die Nachfolge von Bedford-Strohm fällt bei einer Synodaltagung am 27. März in der Münchner Matthäuskirche.

Beim Jahresempfang setzte sich Akademiedirektor Udo Hahn mit dem Begriff „Zeitenwende“ auseinander, der zu einem Schlüsselbegriff geworden sei, seit Bundeskanzler Olaf Scholz das Wort wenige Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine vor einem Jahr verwendet habe. „Diesen Begriff auszusprechen, markiert die Zäsur zwischen einem vertrauten Vorher und einem unbekannten Nachher, dessen Ende gegenwärtig nicht absehbar ist“, sagte Hahn.

Hahn: Im Vorfindlichen nicht schon das Endgültige sehen

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Die Kraft und den Mut zu gestalten nicht zu verlieren, mahnte Akademiedirektor Udo Hahn © Oryk Haist / Evangelische Akademie Tutzing

"Eines dürfen wir zu keiner Zeit verlieren: die Kraft und den Mut, zu gestalten", mahnte Hahn. Im Vorfindlichen nicht schon das Endgültige zu sehen – in dieser Haltung kämen seit 76 Jahren Menschen in der Evangelischen Akademie Tutzing zusammen.

Festrednerin beim Empfang war Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland. Die von Geburt an blinde gebürtige Lindauerin hat als Mitglied der Nationalmannschaft im Skilanglauf und Biathlon vier Weltmeistertitel errungen und bei den Paralympischen Winterspielen 2010 fünf Goldmedaillen gewonnen. In ihren Reden rückten sowohl der Landesbischof als auch die VdK-Präsidentin Forderungen nach verstärkter Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt. „Armut ist eine Zumutung, der sich eine Gesellschaft mutig stellen muss“, sagte Verena Bentele. Bedford-Strohm bezeichnete es als Pflicht der Kirche und der Diakonie, sich politisch einzumischen, wenn es um Armut und soziale Gerechtigkeit gehe.

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Etwa 350 Besucher kamen am Mittwochabend zum Jahresempfang der Evangelischen Akademie ins Tutzinger Schloss © Oryk Haist / Evangelische Akademie Tutzing

„Es fehlen warme Schuhe im Winter, ein eigenes Zimmer oder sogar ein eigener Schreibtisch"

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VdK-Präsidentin Verena Bentele plädierte gestern in Tutzing nachdrücklich für eine Kindergrundsicherung © Oryk Haist / Evangelische Akademie Tutzing

Verena Bentele forderte einen Neustart im Kampf gegen Kinderarmut mit einer Kindergrundsicherung: „Denn das Fatale ist, dass aus armen Kindern fast zwangsläufig arme Erwachsene und später arme Rentnerinnen und Rentner werden.“ Schon in der Schule beeinflusse Armut die Chancen eines Menschen. Von 100 Kindern, die niemals in Armut gelebt haben, schaffen laut Bentele 36 den Sprung aufs Gymnasium, von 100 Kindern mit Armutserfahrung nur zwölf. Jeder fünfte junge Mensch unter 18 Jahren sei nach einer aktuellen Bertelsmann-Studie in Deutschland armutsgefährdet, sagte die VdK-Präsidentin. Armut bedeute für Kinder und Jugendliche konkret: „Es fehlen warme Schuhe im Winter, ein eigenes Zimmer oder sogar ein eigener Schreibtisch, um in Ruhe Hausaufgaben zu machen." Es fehle die technische Ausstattung, um in der Schule mithalten zu können – Stichwort 'Home Schooling'. Einträge wie 'Schwimmbad', 'Sportverein', 'Schulausflug' oder 'Partyeinladung' fehlten im Familienkalender. Armut bedeute täglich Stress und Sorgen – und das ohne eine hoffnungsvolle Perspektive. Wenn es aber mit der Kindergrundsicherung gelinge, den Kindern die Tür zu mehr Bildung und damit perspektivisch zu mehr Wohlstand zu öffnen, spare das dem Staat auf lange Sicht eine Menge Geld.

Landesbischof wünscht sich Entideologisierung und Versachlichung der Steuerdebatten

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Fragen nach dem Effekt bestimmter Steuererhöhungen stellte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm © Oryk Haist / Evangelische Akademie Tutzing

Ausdrücklich führte Bentele die Dissertation von Bedford-Strohm mit dem Titel „Vorrang für die Armen“ (1992) an. Seine These laute: Wie positiv der Zustand einer Gesellschaft zu beurteilen ist, hängt von ihrem Umgang mit den armen Menschen ab, die in ihr leben. „Etwas anders ausgedrückt: Je gleicher eine Gesellschaft ist, je stärker also die soziale Gerechtigkeit in einem Land ausgeprägt ist, desto besser für alle“, folgerte die VdK-Präsidentin.

Bedford-Strohm kritisierte: „Die Art, wie in diesem Land manchmal über Steuererhöhungen diskutiert wird, wird unserem christlichen Erbe nicht gerecht.“ Es müsse doch klar sein, dass in einem Land mit einem Geldvermögen der privaten Haushalte von 7,3 Billionen Euro angesichts der riesigen Zukunftsherausforderungen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ein selbstverständliches Thema sei. Er stellte die Frage, ob bestimmte Steuerhöhungen auch wirklich den gewünschten Effekt zur Finanzierung der Aufgaben brächten. Doch stattdessen werde immer wieder darüber diskutiert, ob das notwendige Geld für die notwendigen massiven Klimaschutzmaßnahmen, für die weltweite Bekämpfung des Hungers oder für gute Bildung aller, auch der Schwächeren und sozial Benachteiligten ohne zu hohe Staatsverschuldung aufgebracht werden könne: „Ich wünsche mir eine Entideologisierung, eine Versachlichung der Steuerdebatten, allerdings auf der Grundlage des besonderen Eintretens für die Armen, das unsere jüdisch-christliche Tradition prägt, in die man im Übrigen an dieser Stelle auch zentrale Inhalte des Islam wie die Armensteuer Zakat einschließen kann, die eine der fünf Säulen des Islam ist.“

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