Mit bunten Buchstaben gemalt, stand es auf einem an einer Schaukel befestigten Aushang: „Rettet unseren Spielplatz“. Als hätte es noch eines Beweises für diese Aufforderung bedurft, rannten überall Kinder herum und freuten sich sichtlich ihres Lebens inmitten von Klettergeräten, Rutschbahnen, Sandkasten und Bäumen. Rundherum standen am Donnerstag unterdessen viele Erwachsene auf der großen Wiese zwischen Wohnblöcken der Siedlung Bareisl. Mütter und Väter deuteten immer wieder auf das ausgedehnte Grün, das auf einer einer eigens gestalten Webseite als „Unsere Oase“ bezeichnet wird. https://www.rettet-den-bareisl.de/ Sie erzählten, wie sich viele Kinder der in den Gebäuden nebenan wohnenden Familien praktisch täglich auf dieser allseits beliebten Fläche treffen, wie sich regelmäßig viele Erwachsene dazu gesellen und wie dort auf diese Weise ein Gemeinschaftsleben stattfindet, ein echtes Miteinander von Alt und Jung. Ein Hügel mittendrin ist nicht allzu hoch, reicht aber im Winter gut fürs Rodeln.
Am Bareisl macht sich erhebliche Unruhe breit
Mit diesem kleinen Paradies könnte es bald vorbei sein, fürchten viele der am Bareisl lebenden Menschen, seit ein Neubauplan bekannt geworden ist. Denn genau auf diesem Areal, auf der „Oase", soll er entstehen: ein Block mit 21 Wohnungen. Nachdem das Münchner Unternehmen Eigenheimbau GmbH dieses Vorhaben am Dienstag voriger Woche im Bauausschuss des Tutzinger Gemeinderats vorgestellt hat, macht sich am Bareisl erhebliche Unruhe breit. Die Leute aus der Anwohnerschaft treffen sich immer wieder, machen ihrem Ärger Luft, suchen nach Möglichkeiten, wie sie das Neubauprojekt verhindern können. Einige von ihnen, Korbinian Schlingermann und Mario Locher, haben so etwas wie die Wortführerschaft übernommen. Einen in der Siedlung wohnenden IT-Experten, Paul Otto, haben sie für die Gestaltung einer Petition https://www.change.org/p/rettet-den-bareisl und des Internet-Auftritts gewonnen, der schon bald nach der Sitzung des Bauausschusses online war. Bei der Petition werden am heutigenSonntagvormittag 327 Unterstützer verzeichnet. Deren Zahl ist in den vergangenen Tagen ständig gestiegen.
Als die Gemeinderatsfraktion der Grünen vor wenigen Tagen für Donnerstag eine Besichtigung der zur Bebauung vorgesehenen Fläche am Bareisl beschloss, erkannten die Protagonisten dies sofort als Chance, bei dieser Gelegenheit ihre Argumente gegen den Neubau vorzubringen. Sie verbreiteten die Nachricht rundherum und bei den Gemeinderäten. Die Gemeinderatsmitglieder der Grünen schmunzelten, als sie eintrafen und das große Interesse wahrnahmen: Eigentlich habe es ja ein internes Treffen ihrer Fraktion sein sollen. Aber es schien ihnen zu gefallen, denn so eine öffentliche Aufmerksamkeit erzielen Kommunalpolitiker nicht so leicht. Tatsächlich waren Mitglieder des Gemeinderats quer durch die Parteien und Gruppen erschienen.
Umfangreicher Katalog von "Gegenargumenten"
Auf ihrer Webseite haben Bareisl-Bewohner in Hinblick auf die vorgesehene Neubebauung einen umfangreichen Katalog von „Gegenargumenten“ in vier Kategorien zusammengefasst: „Fragwürdiger Sozialgedanke“, „Mangelnde Investitionen in Bestand, stattdessen Investitionen in Neubau“, „Trugschluss Tiefgarage und unterschätzter Verkehr“ sowie „Umweltauswirkung“. Auf der Wiese war am Donnerstag spürbar, wie nah das alles den Menschen geht, auch wenn sie sich erkennbar bemühten, nicht allzu emotional zu werden und ihre Bedenken sachlich vorzubringen.
Aber schon Hinweise auf Absperrbänder, die über die ganze Wiese verlegt waren, verdeutlichten immer wieder die Irritationen: Die so angezeigten Ausmaße des angekündigten neuen Wohnblocks und einer Tiefgarage mit 64 Stellplätzen, die nicht weit vom benachbarten Bareisl-Graben entstehen soll, schienen viele nicht fassen zu können.
Gerade in jüngerer Zeit seien etliche Familien eingezogen, denen man von diesen Plänen nichts gesagt habe, kritisierte Schlingermann. Der Wegfall des in den Mieten enthaltenen „fiktiven Gartenanteils“ sei „nichts anderes als eine Mieterhöhung“, folgerte er: „Man zahlt die gleiche Miete für weniger Leistung.“ Als andere absehbare Probleme gerade der älteren Menschen kritisierten, mit der sich durch die Neubebauung ergebenden Enge zurechtzukommen, brandete Beifall auf.
Mieten, Mängel, Minderungen
Den ständigen Plädoyers für bezahlbaren Wohnraum und den Ankündigungen einer Sozialbindung für 14 Wohnungen wurden Berichte über bereits vorgenommene Mieterhöhungen entgegengehalten. Die Eigentümer der Siedlung hatten für den Neubau Mieten von 16,50 Euro je Quadratmeter angekündigt und die derzeitige Durchschnittsmiete bei den bestehenden Wohnungen mit 12,50 Euro je Quadratmeter genannt. Dazu verwies Mario Locher auf ein aktuelles Angebot für eine Wohnung am Bareisl mit 53 Quadratmetern für eine Kaltmiete von 910 Euro, was 16,89 Euro je Quadratmeter entspricht. Beim Neubau würden es nicht unter 25 Euro je Quadratmeter werden, rief jemand argwöhnisch aus. „Was soll denn dann bei einem Neubau ‚bezahlbar‘ sein?“, fragte eine Bewohnerin.
Angeprangerte Mängel in bestehenden Wohnungen scheinen den Betroffenen zu all dem nicht so recht zu passen. In einer Wohnung laufe das Wasser aus der Wand heraus, berichteten sie den Gemeinderatsmitgliedern, aber der Eigentümer repariere den Schaden trotz Aufforderung nicht. Im Keller einer anderen Wohnung gebe es Schimmelbefall. Auch über erhöhte Legionellenwerte wurde geklagt. Der Investor müsse zunächst gut für seine Mieter sorgen, mahnte Schlingermann.
Ein Mann erinnerte daran, dass die Siedlung auf dort nach dem Zweiten Weltkrieg abgelagertem Bauschutt in Akkordbauweise errichtet worden sei. Ob die Altbauten die durch die Baustelle zu erwartenden Belastungen überhaupt aushalten würden, besonders wenn die Garage tief im Untergrund verankert werde? Informationen über Konsequenzen in vergleichbaren Fällen waren schon eingeholt worden. So seien Mietminderungen bis 25 Prozent durchgesetzt worden. Genau beobachten wollen die Anwohner auch, ob beim Bau alles mit rechten Dingen zugehen wird, ob beispielsweise Bäume zu hierfür verbotenen Zeiten gefällt oder Artenschutzvorschriften nicht beachtet werden.
Viele Bedenken wurden nicht zuletzt wegen der Verkehrssituation vorgebracht. Schon heute sei am Abend alles zugeparkt, sagte eine Bewohnerin. Bisher sei immerhin kostenloses Parken möglich, erwiderte Schlingermann - ob das mit der geplanten Tiefgarage so bleiben werde, müsse sich zeigen.
Anwohner erwarten ein Signal der Gemeinde
Die anwesenden Kommunalpolitiker hörten sich das alles an. Auf die meisten der Einzelaspekte gingen sie nicht direkt ein, doch einige von ihnen versuchten, einiges klarzustellen. Viele der angesprochenen Probleme seien nicht Sache der Gemeinde und des Gemeinderats, sagte Bernd Pfitzner, Gemeinderat der Grünen. Darüber hätten die verschiedenen Behörden zu entscheiden. Die von der Eigenheimbau GmbH vorgestellte Konzeption hatte der Bauausschuss in einem Empfehlungsbeschluss an den Gemeinderat einstimmig befürwortet. Es gebe aber noch keinen Bauantrag, betonte Pfitzner. Selbst wenn die Gemeinde ihr Einvernehmen zum Bau verweigere, werde dies vermutlich ein „stumpfes Schwert“ sein. Schlingermann ließ die Hoffnung auf eine Ablehnung des Neubauprojekts durch die Gemeinde erkennen. Die Gemeinde könne durchaus ein positives oder negatives Signal ans Landratsamt, die Genehmigungsbehörde, senden, sagte er. Auch Juristen hätten ein Herz, ergänzte Locher.
An dieser Stelle sah Bürgermeisterin Marlene Greinwald, die die ganze Diskussion ruhig angehört hatte, Bedarf einzugreifen: „Ich will keine falschen Hoffnungen schüren“, sagte sie. Ob die Gemeinde den Bau mit ihrem „Einvernehmen oder Nicht-Einvernehmen“ verhindern könne, sei schwer zu beurteilen. Die Zuständigen beim Landratsamt würden es dann prüfen: „Und zwar ohne Herz - sonst kommen sie in die Haftung“. Das bedeute nicht, dass diese Menschen kein Herz hätten. Auch das wollten die Bareisl-Bewohner nicht so ganz akzeptieren. Es sei Pflicht der von den Tutzingern gewählten Mandatsträger, sich um das Wohl der Tutzinger zu kümmern, sagte Schlingermann..
Infoveranstaltung zu den Neubauplänen am nächsten Donnerstag im Rathaus
Nach der Aussprache setzten sich die Gespräche in kleinen Kreisen noch lange fort, während rundherum die Kinder auf dem großen Grün munter weiter spielten. Bewohner der Siedlung berichteten über ihre Eindrücke. Sie glaubten aus den Äußerungen verschiedener Gemeinderatsmitglieder bereits erkannt zu haben, wie dieses zu den Neubauplänen stehen. Wie das Thema die Diskussionen weiter beherrschen wird, zeichnet sich ab. Am Donnerstag, dem 1. Juni soll im Sitzungssaal des Rathauses eine Informationsveranstaltung zur baurechtlichen Seite des Neubauvorhabens stattfinden. Da dürfte das Interesse wieder groß sein
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Immer sagen Natur ist wichtig und dann alles abholzen.