Bauplanung
28.5.2023
Von vorOrt.news

Bareisl-Bewohner fürchten um ihre „Oase“

Forderungen nach Ablehnung des Neubaus durch den Gemeinderat - 327 Unterstützer bei Petition

Bareisl-Treffen-1.jpg
Plakativer Widerstand am Spielplatz. Links der kleine Hügel, auf dem im Winter gerodelt wird. © L.G.

Mit bunten Buchstaben gemalt, stand es auf einem an einer Schaukel befestigten Aushang: „Rettet unseren Spielplatz“. Als hätte es noch eines Beweises für diese Aufforderung bedurft, rannten überall Kinder herum und freuten sich sichtlich ihres Lebens inmitten von Klettergeräten, Rutschbahnen, Sandkasten und Bäumen. Rundherum standen am Donnerstag unterdessen viele Erwachsene auf der großen Wiese zwischen Wohnblöcken der Siedlung Bareisl. Mütter und Väter deuteten immer wieder auf das ausgedehnte Grün, das auf einer einer eigens gestalten Webseite als „Unsere Oase“ bezeichnet wird. https://www.rettet-den-bareisl.de/ Sie erzählten, wie sich viele Kinder der in den Gebäuden nebenan wohnenden Familien praktisch täglich auf dieser allseits beliebten Fläche treffen, wie sich regelmäßig viele Erwachsene dazu gesellen und wie dort auf diese Weise ein Gemeinschaftsleben stattfindet, ein echtes Miteinander von Alt und Jung. Ein Hügel mittendrin ist nicht allzu hoch, reicht aber im Winter gut fürs Rodeln.

Am Bareisl macht sich erhebliche Unruhe breit

Mit diesem kleinen Paradies könnte es bald vorbei sein, fürchten viele der am Bareisl lebenden Menschen, seit ein Neubauplan bekannt geworden ist. Denn genau auf diesem Areal, auf der „Oase", soll er entstehen: ein Block mit 21 Wohnungen. Nachdem das Münchner Unternehmen Eigenheimbau GmbH dieses Vorhaben am Dienstag voriger Woche im Bauausschuss des Tutzinger Gemeinderats vorgestellt hat, macht sich am Bareisl erhebliche Unruhe breit. Die Leute aus der Anwohnerschaft treffen sich immer wieder, machen ihrem Ärger Luft, suchen nach Möglichkeiten, wie sie das Neubauprojekt verhindern können. Einige von ihnen, Korbinian Schlingermann und Mario Locher, haben so etwas wie die Wortführerschaft übernommen. Einen in der Siedlung wohnenden IT-Experten, Paul Otto, haben sie für die Gestaltung einer Petition https://www.change.org/p/rettet-den-bareisl und des Internet-Auftritts gewonnen, der schon bald nach der Sitzung des Bauausschusses online war. Bei der Petition werden am heutigenSonntagvormittag 327 Unterstützer verzeichnet. Deren Zahl ist in den vergangenen Tagen ständig gestiegen.

Als die Gemeinderatsfraktion der Grünen vor wenigen Tagen für Donnerstag eine Besichtigung der zur Bebauung vorgesehenen Fläche am Bareisl beschloss, erkannten die Protagonisten dies sofort als Chance, bei dieser Gelegenheit ihre Argumente gegen den Neubau vorzubringen. Sie verbreiteten die Nachricht rundherum und bei den Gemeinderäten. Die Gemeinderatsmitglieder der Grünen schmunzelten, als sie eintrafen und das große Interesse wahrnahmen: Eigentlich habe es ja ein internes Treffen ihrer Fraktion sein sollen. Aber es schien ihnen zu gefallen, denn so eine öffentliche Aufmerksamkeit erzielen Kommunalpolitiker nicht so leicht. Tatsächlich waren Mitglieder des Gemeinderats quer durch die Parteien und Gruppen erschienen.

Anzeige
Banner-X2.png
Bareisl-Treffen-3.jpg
Die "Oase" am Bareisl: Die Bewohner fürchten um das Grün, weil dort der Neubau entstehen soll. Absperrbänder deuten die Ausmaße des Wohnblocks (Band rechts) und einer noch größeren Tiefgarage (Band links) an. © L.G.

Umfangreicher Katalog von "Gegenargumenten"

Bareisl-Treffen-6.jpg
Bürgermeisterin Marlene Greinwald (r.v.re.) und etliche Gemeinderatsmitglieder nahmen an dem Treffen auf dr Wiese teil © K.G.

Auf ihrer Webseite haben Bareisl-Bewohner in Hinblick auf die vorgesehene Neubebauung einen umfangreichen Katalog von „Gegenargumenten“ in vier Kategorien zusammengefasst: „Fragwürdiger Sozialgedanke“, „Mangelnde Investitionen in Bestand, stattdessen Investitionen in Neubau“, „Trugschluss Tiefgarage und unterschätzter Verkehr“ sowie „Umweltauswirkung“. Auf der Wiese war am Donnerstag spürbar, wie nah das alles den Menschen geht, auch wenn sie sich erkennbar bemühten, nicht allzu emotional zu werden und ihre Bedenken sachlich vorzubringen.

Aber schon Hinweise auf Absperrbänder, die über die ganze Wiese verlegt waren, verdeutlichten immer wieder die Irritationen: Die so angezeigten Ausmaße des angekündigten neuen Wohnblocks und einer Tiefgarage mit 64 Stellplätzen, die nicht weit vom benachbarten Bareisl-Graben entstehen soll, schienen viele nicht fassen zu können.

Gerade in jüngerer Zeit seien etliche Familien eingezogen, denen man von diesen Plänen nichts gesagt habe, kritisierte Schlingermann. Der Wegfall des in den Mieten enthaltenen „fiktiven Gartenanteils“ sei „nichts anderes als eine Mieterhöhung“, folgerte er: „Man zahlt die gleiche Miete für weniger Leistung.“ Als andere absehbare Probleme gerade der älteren Menschen kritisierten, mit der sich durch die Neubebauung ergebenden Enge zurechtzukommen, brandete Beifall auf.

Mieten, Mängel, Minderungen

Bareisl-Projekt9.png
Der Neubau (grün) und drei der bestehenden Bauten © Eigenheimbau GmbH

Den ständigen Plädoyers für bezahlbaren Wohnraum und den Ankündigungen einer Sozialbindung für 14 Wohnungen wurden Berichte über bereits vorgenommene Mieterhöhungen entgegengehalten. Die Eigentümer der Siedlung hatten für den Neubau Mieten von 16,50 Euro je Quadratmeter angekündigt und die derzeitige Durchschnittsmiete bei den bestehenden Wohnungen mit 12,50 Euro je Quadratmeter genannt. Dazu verwies Mario Locher auf ein aktuelles Angebot für eine Wohnung am Bareisl mit 53 Quadratmetern für eine Kaltmiete von 910 Euro, was 16,89 Euro je Quadratmeter entspricht. Beim Neubau würden es nicht unter 25 Euro je Quadratmeter werden, rief jemand argwöhnisch aus. „Was soll denn dann bei einem Neubau ‚bezahlbar‘ sein?“, fragte eine Bewohnerin.

Angeprangerte Mängel in bestehenden Wohnungen scheinen den Betroffenen zu all dem nicht so recht zu passen. In einer Wohnung laufe das Wasser aus der Wand heraus, berichteten sie den Gemeinderatsmitgliedern, aber der Eigentümer repariere den Schaden trotz Aufforderung nicht. Im Keller einer anderen Wohnung gebe es Schimmelbefall. Auch über erhöhte Legionellenwerte wurde geklagt. Der Investor müsse zunächst gut für seine Mieter sorgen, mahnte Schlingermann.

Ein Mann erinnerte daran, dass die Siedlung auf dort nach dem Zweiten Weltkrieg abgelagertem Bauschutt in Akkordbauweise errichtet worden sei. Ob die Altbauten die durch die Baustelle zu erwartenden Belastungen überhaupt aushalten würden, besonders wenn die Garage tief im Untergrund verankert werde? Informationen über Konsequenzen in vergleichbaren Fällen waren schon eingeholt worden. So seien Mietminderungen bis 25 Prozent durchgesetzt worden. Genau beobachten wollen die Anwohner auch, ob beim Bau alles mit rechten Dingen zugehen wird, ob beispielsweise Bäume zu hierfür verbotenen Zeiten gefällt oder Artenschutzvorschriften nicht beachtet werden.

Viele Bedenken wurden nicht zuletzt wegen der Verkehrssituation vorgebracht. Schon heute sei am Abend alles zugeparkt, sagte eine Bewohnerin. Bisher sei immerhin kostenloses Parken möglich, erwiderte Schlingermann - ob das mit der geplanten Tiefgarage so bleiben werde, müsse sich zeigen.

Anwohner erwarten ein Signal der Gemeinde

Bareisl-Treffen-5.jpg
In intensiven Diskussionen: (v.li.) Mario Locher, Bernd Pfitzner und Korbinian Schlingermann © K.G.

Die anwesenden Kommunalpolitiker hörten sich das alles an. Auf die meisten der Einzelaspekte gingen sie nicht direkt ein, doch einige von ihnen versuchten, einiges klarzustellen. Viele der angesprochenen Probleme seien nicht Sache der Gemeinde und des Gemeinderats, sagte Bernd Pfitzner, Gemeinderat der Grünen. Darüber hätten die verschiedenen Behörden zu entscheiden. Die von der Eigenheimbau GmbH vorgestellte Konzeption hatte der Bauausschuss in einem Empfehlungsbeschluss an den Gemeinderat einstimmig befürwortet. Es gebe aber noch keinen Bauantrag, betonte Pfitzner. Selbst wenn die Gemeinde ihr Einvernehmen zum Bau verweigere, werde dies vermutlich ein „stumpfes Schwert“ sein. Schlingermann ließ die Hoffnung auf eine Ablehnung des Neubauprojekts durch die Gemeinde erkennen. Die Gemeinde könne durchaus ein positives oder negatives Signal ans Landratsamt, die Genehmigungsbehörde, senden, sagte er. Auch Juristen hätten ein Herz, ergänzte Locher.

An dieser Stelle sah Bürgermeisterin Marlene Greinwald, die die ganze Diskussion ruhig angehört hatte, Bedarf einzugreifen: „Ich will keine falschen Hoffnungen schüren“, sagte sie. Ob die Gemeinde den Bau mit ihrem „Einvernehmen oder Nicht-Einvernehmen“ verhindern könne, sei schwer zu beurteilen. Die Zuständigen beim Landratsamt würden es dann prüfen: „Und zwar ohne Herz - sonst kommen sie in die Haftung“. Das bedeute nicht, dass diese Menschen kein Herz hätten. Auch das wollten die Bareisl-Bewohner nicht so ganz akzeptieren. Es sei Pflicht der von den Tutzingern gewählten Mandatsträger, sich um das Wohl der Tutzinger zu kümmern, sagte Schlingermann..

Infoveranstaltung zu den Neubauplänen am nächsten Donnerstag im Rathaus

Nach der Aussprache setzten sich die Gespräche in kleinen Kreisen noch lange fort, während rundherum die Kinder auf dem großen Grün munter weiter spielten. Bewohner der Siedlung berichteten über ihre Eindrücke. Sie glaubten aus den Äußerungen verschiedener Gemeinderatsmitglieder bereits erkannt zu haben, wie dieses zu den Neubauplänen stehen. Wie das Thema die Diskussionen weiter beherrschen wird, zeichnet sich ab. Am Donnerstag, dem 1. Juni soll im Sitzungssaal des Rathauses eine Informationsveranstaltung zur baurechtlichen Seite des Neubauvorhabens stattfinden. Da dürfte das Interesse wieder groß sein

ID: 5837
Über den Autor

vorOrt.news

Kommentar hinzufügen

Anmelden , um einen Kommentar zu hinterlassen.

Kommentare

Da fehlt erst einmal ein vernünftiges Verkehrskonzept für Tutzing, die Traubinger Str. ist ja schon lange an ihrer Belastungsgrenze angekommen. Auch die Straßen am und um den Bareisl sind dafür nicht ausgelegt.
Grüne Oase kaputt machen.
Immer sagen Natur ist wichtig und dann alles abholzen.
Wie in Zeiten gestiegener Zinsen von bis zu 4% ein Neubau mit Kaltmieten iHv 16,50€/m² zu finanzieren ist darf ehrlicherweise genau hinterfragt werden. Liest man in der SZ online vom 31.5.23, dass in Tutzing 87 Quadratmeter mittlerweile 2200€ Kaltmiete (=25,29€/m²) kosten können, gibt es eigentlich nur 3 Möglichkeiten. 1) andere Investoren treiben es mit 53% höherem Mietniveau in Tutzing auf die Spitze 2) Die Eigenheimbau GmbH kann trotz derzeitigen Marktbedingungen (Baupreisentwicklung, deutlich gestiegenes Zinsniveau) deutlich günstiger bauen als jeder andere und dadurch Mieten iHv 16,50 kalt im Neubau zusichern 3) etwas stimmt am vorläufigen Finanzkonstrukt nicht. Die Mieten im Neubau belaufen sich am Ende doch auf ortsübliche Mieten zwischen 21-25€/m² kalt und die 16,50€/m² kalt beziehen sich schlicht auf die 14 Wohnungen innerhalb der Bestandsgebäude. Im Idealfall handelt es sich dabei um alte Wohnungen, die bis dahin mit Mietverträgen zu <12€ liefen. Diese Wohnungen werden dann - wie aktuell auch - saniert und im Anschluss ortsüblich weitervermietet. So wird ein Schuh draus. Abgesehen von alledem haben 16,50€/m² noch immer nichts mit sozialem Wohnungsbau zu tun! Diese selbstgetroffene Definition sollte schnellstens in Zusammenhang mit diesem Bauprojekt verschwinden. Frau Nimbach hatte das hohe Mietniveau von 16,50 während der Bauausschusssitzung am 16.5.23 kurz in Frage gestellt. Das eigene Beispiel von 10€/m² und bis zu 12€/m² als echter sozialer Wohnungsbau wurde hervorgebracht. Bei diesem Preisniveau wurde allerdings deutlich, dass es aus Investorensicht wirtschaftlich nicht vertretbar sei. Doch gerade dieses Niveaus bedarf es in Tutzing so dringend und priorisiert, schaut man sich nur die Lage der Kindergärten, Klinik und Altenpflege im Ort an. Gesamtgesellschaftlich bereits eine riesige Herausforderung überhaupt genügend Kräfte zur Verfügung zu haben, erschwert sich die Lage in Tutzing noch zusätzlich aufgrund des Mangels an bezahlbarem Wohnraum für ebenjene Kräfte. 16,50 helfen hier nicht. Eine große Herausforderung vor der Tutzing steht, doch ohne Plan von einem Bauprojekt ins nächste zu stolpern wird Tutzing auf lange Sicht nicht helfen. Im Gegenteil, ein derartiges Projekt wie am Bareisl geplant hält in keiner Hinsicht eine Lösung parat, doch es schafft eine Reihe an zusätzlichen Problemen für die Kommune. Dass es für diese Erkenntnis einer Petition von engagierten Einzelpersonen bedraf sollte einem zu denken geben. Jedenfalls wird es ohne einen Plan zur Gesamtentwicklung Tutzings über die nächsten Jahrzehnte immer nur ein "von A nach B und dann mal schaun" bleiben. Auf eine Betrachtung von A bis C, geschweige denn A bis Z (Tutzing hat seine geografischen Grenzen) seitens der Verantwortlichen kann man gespannt warten. Die Aufgabe ist nicht leicht. Doch die Verantwortlichen stehen in der Verantwortung für Tutzing und die Menschen, die hier wohnen qua ihres Amtes. Langfristige Szenarien für den Ort müssen gegenübergestellt werden, Lösungen mit der Bevölkerung -alt und jung / alteinsässig und zugezogen/ gewerbetreibend und privat erarbeitet und diskutiert werden. Es ist nicht vorstellbar, dass die Aufgabe anders zu bewältigen ist. Auf keinen Fall zumindest mit einer "nach mir die Sintflut" Haltung.
Feedback / Fehler melden