„Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.“
So steht es im Paragrafen 34 des Baugesetzbuchs, einer der in Bauausschuss-Sitzungen meistzitierten Regelungen. Ein Gummiparagraf, wie sich an immer mehr Beispielen in Tutzing zeigt: Papier ist geduldig – und der Paragraf 34 des Baugesetzbuchs offenkundig sehr interpretationsfähig. Das ist offenkundig auch von den jeweiligen Auffassungen derer abhängig, die Entscheidungen zu treffen haben.
Das jüngste Beispiel liefert der geplante Umbau eines Einfamilienhauses an der Cäsar-von-Hofacker-Straße. Eigentlich ein „stimmiges Projekt“, meint man im Bauamt der Gemeinde. Aber die Bauwerber würden gern eine relativ große Gaube errichten, mit einer Ansichtsfläche von mehr als vier Metern. Dadurch würde eine Wandhöhe entstehen, die in der näheren Umgebung keinen Bezug finde, argumentierte der Bau- und Ortsplanungsausschuss des Gemeinderats im November vorigen Jahres – und lehnte das gemeindliche Einvernehmen ab.
Zu Unrecht, befand das Starnberger Kreisbauamt. Die für die Genehmigungen zuständige Behörde hat sich in der Umgebung umgeschaut und auf der anderen Seite der Straße „Am Höhenberg“ ein relativ großes Haus entdeckt, das sie nun als Vorbild anführt. Ob das allerdings wirklich als „Umgebung“ im Sinn des Paragrafen 34 gelten kann, da wurden im Tutzinger Bauausschuss erhebliche Zweifel laut.
Gemeinderäte sorgen sich um ihre Entscheidungsmöglichkeiten
Die Straße „Am Höhenberg“ trenne die beiden Bauquartiere, sagte Dr. Joachim Weber-Guskar (FDP), die Bebauungen und die Art der Nutzung seien unterschiedlich. Das sah Stefan Feldhütter (Freie Wähler) ähnlich: „Eine Straße kann schon trennenden Charakter haben.“ Es habe auch schon andere Fälle gegeben, bei denen das Kreisbauamt in solchen Fällen bei der Beurteilung der Umgebungsbebauung weit über die betreffenden Straßen hinaus gegangen sei, sagte Michael Ehgartner (Grüne).
Bürgermeisterin Marlene Greinwald bestätigte das. Sie sieht „erschreckende“ Tendenzen der baulichen „Aufschaukelung“, besonders überall dort, wo es keine Bebauungspläne gibt, wo also der Paragraf 34 gilt. Sogar die großen Bauten des Verbands Wohnen – dessen Vorsitzende sie ist - würden mittlerweile als Maßstäbe der Umgebungsbebauung einbezogen, was früher nicht der Fall gewesen sei.
Diese Erfahrung hat die Gemeinde Tutzing beispielsweise an der Bräuhausstraße gemacht. Als dort auf der einen Straßenseite ein Neubau mit zehn Wohneinheiten zur Debatte stand, erklärte die Gemeinde, rundherum gebe es keine Gebäude ähnlicher Größe. Das Kreisbauamt verwies aber gleich auf mehrere größere Gebäude in der Umgebung, so die Gaststätte „Tutzinger Keller“, Nachbargebäude links und rechts von ihr und auch die Blöcke des Verbands Wohnen. Früher sei immer erklärt worden, bei Sozialwohnungen könnten auch andere Kriterien gelten, erinnern sich Tutzinger Kommunalpolitiker. Doch nach Auskunft des Kreisbauamts geht es tatsächlich nur um Länge, Höhe und Breite der Bauwerke, berichtete ein Vertreter des Tutzinger Bauamts einmal - die Art der Nutzung sei egal. Zwischen kleiner Bebauung und Urbanisierung
Wie der Streit rund um die Straße am Höhenberg ausgeht, ist noch offen. Der Tutzinger Bauausschuss ist bei seiner Auffassung geblieben, er hat das gemeindliche Einvernehmen verweigert – wohl wissend, dass ihn das Kreisbauamt „ersetzen“, den Bau also trotzdem genehmigen kann. Was die Gemeinderatsmitglieder generell bewegt, wurde in dieser Sitzung in etlichen kritischen Äußerungen sehr deutlich. Welche Einflussmöglichkeiten haben sie überhaupt noch, wenn das Kreisbauamt dann doch oft anders entscheidet? Dr. Ernst Lindl (CSU) meinte immerhin, das Kreisbauamt werde Rechtsgründe für seine Auffassung haben.
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